Erklärung anlässlich der Informationsveranstaltung für die Minister über den COVID-19-Ausbruch

WHO

Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa

Kopenhagen, 2.–3. März 2020

Sehr geehrte Damen und Herren Minister, sehr geehrte Delegierte, guten Tag, guten Abend aus Kopenhagen, und vielen Dank, dass Sie an dieser Veranstaltung teilnehmen. Aber obwohl ich mich freue, dass Sie sich heute hier zugeschaltet haben, so wünschte ich doch, die Umstände wären anders. Mir ist klar, dass Sie zur Zeit viel an Druck und Besorgnis bewältigen müssen; dennoch wollte ich persönlich mit Ihnen in Kontakt treten und von Ihnen hören, wie wir Sie am wirksamsten unterstützen können. Außerdem möchte ich unserem Team die Gelegenheit geben, Sie über die aktuelle Lage zu informieren.

Zunächst einmal aber möchte ich all jenen Gemeinschaften und Familien, die in Ihren Ländern oder anderswo von dem COVID-19-Ausbruch betroffen sind, mein aufrichtiges Mitgefühl aussprechen. Ich hoffe, dass all jene, die in Ihren Ländern noch im Krankenhaus liegen, Tag für Tag einer vollständigen und möglichst schnellen Genesung näher kommen.

Zwar verläuft eine COVID-19-Infektion glücklicherweise offenbar in den meisten Fällen mild, doch haben wir alle Angehörige oder Bekannte an unserem Wohnort, die schon älter sind oder von einer Vorerkrankung betroffen sind, durch die sich ihre Gefährdung erhöht. Wir alle können uns besondere Mühe geben, die Gesundheit dieser Menschen zu schützen.

Wie Sie alle wissen, hat die WHO in ihrer schnellen Risikobewertung vom 28. Februar das Risiko für China, die Europäische Region und die ganze Welt als „sehr hoch“ eingestuft. Dies ist die höchste Warnstufe der WHO und bedeutet, dass jedes Land vollständig bereit sein, über Erkennungs- und Überwachungsmaßnahmen verfügen und sein Gesundheitspersonal und seine Gesundheitseinrichtungen auf das Auftreten von Fällen vorbereiten muss.

Für die Handlungsbereitschaft der Länder gelten drei Prioritäten: 1. Schutz des Gesundheitspersonals; 2. Einbindung von Gemeinschaften zum Schutz der am stärksten gefährdeten Gruppen; und 3. Schutz der anfälligsten Länder durch maximale Anstrengungen zur Eindämmung von Ausbrüchen in Ländern, die dazu in der Lage sind.

Bisher verzeichnet Italien den steilsten Anstieg der Fallzahlen in der Europäischen Region der WHO, und es gibt Anzeichen für eine lokale Übertragung.

Die Arbeit der WHO

Seit zwei Monaten arbeitet die WHO rund um die Uhr daran, die Maßnahmen zur Bekämpfung des Ausbruchs zu koordinieren. Wie Sie von meinen Kollegen in Kürze hören werden, wurde das Kommando- und Kontrollzentrum der WHO auf allen Ebenen der Organisation aktiviert. In der Europäischen Region bemühen wir uns um eine vielfältige und bedarfsgerechte Unterstützungsarbeit für die 53 Mitgliedstaaten. Ich bin ungeheuer stolz auf die Mitglieder unseres Ereignis-Management-Teams und auf die Mitarbeiter, die sie unterstützen.

Durch unsere 30 Länderbüros arbeiten wir Schulter an Schulter mit den Gesundheitsministerien, aber auch ressortübergreifend und mit allen Teilen der Gesellschaft. Zur Unterstützung der Länder Zentralasiens, des Balkans und der südlichen Kaukasusregion haben wir Experten entsandt. Wir sitzen alle im selben Boot. Seit letzter Woche untersucht ein Expertenteam der WHO und des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten vor Ort zusammen mit italienischen Gesundheitsexperten die Entstehung des Ausbruchs und sucht nach einer möglichst angemessenen Strategie zu seiner Bekämpfung und Bewältigung.

In den letzten beiden Wochen habe ich Usbekistan, Kasachstan, Serbien und Nordmazedonien besucht. Letzten Mittwoch nahm ich an einer Pressekonferenz mit dem italienischen Gesundheitsminister, der Europäischen Kommissarin für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit und der Leiterin des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten teil. Zusammen bewerteten die Minister und ich die aktuelle Lage und die aus ihr resultierenden Erfordernisse. Bei dieser Gelegenheit unterstrich ich, dass alle Länder über einen nationalen Bereitschafts- und Reaktionsplan verfügen sollten. Solche Pläne tragen dazu bei, die verfügbaren internationalen Ressourcen an die Anforderungen und Prioritäten vor Ort anzupassen. Doch es müssen auch nationale Ressourcen aufgebracht werden. Bei der Vermittlung dieser Botschaft an Ihre Regierungen zähle ich auf Ihre Unterstützung.

Die aktuellen Herausforderungen aufgrund des COVID-19-Ausbruchs unterstreichen auch die Bedeutung der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV). Die IGV sind der Mechanismus, mit dem die internationale Gemeinschaft gesundheitliche Notlagen verhindern, erkennen, sich auf sie vorbereiten und auf sie reagieren kann. Der COVID-19-Ausbruch stellt unsere Solidarität auf eine Probe, die wir unbedingt bestehen müssen. Es kommt entscheidend darauf an, dass wir alle uns an die in den IGV festgelegten Grundsätze internationaler Zusammenarbeit, Transparenz und Solidarität halten.

Koordination

Um die umfassenderen Folgen des Ausbruchs für Gesellschaft und Volkswirtschaften so gering wie möglich zu halten, sind wir auf die Unterstützung sämtlicher Partnerorganisationen angewiesen, namentlich seitens Organisationen der Vereinten Nationen. Um eine solche Abstimmung zu erleichtern, wurde am 11. Februar auf der globalen Ebene ein Krisenmanagement-Team der Vereinten Nationen eingerichtet. Auf der Ebene der Länder arbeiten die Repräsentanten der WHO eng mit den residierenden Koordinatoren und den gesamten Landesteams der Vereinten Nationen zusammen, um die negativen sozialen, ökonomischen und entwicklungsbezogenen Folgen des Ausbruchs so weit wie möglich abzufedern.

Um Mittel für diese gesundheitliche Notlage aufzubringen, hat die WHO zusammen mit ihren Partnerorganisationen den Strategieplan für Vorsorge- und Bekämpfungsmaßnahmen in die Wege geleitet, der über die Grenzen des Gesundheitswesens hinausgeht. Wir begrüßen es, dass Ihre Regierungen uns nach besten Kräften bei den Vorsorge- und Gegenmaßnahmen behilflich sind. Die personellen und finanziellen Ressourcen, die wir aufbringen können, werden vorrangig in jenen Ländern eingesetzt, in denen die Anforderungen und Risiken höher und die Kapazitäten in den Gesundheitssystemen und bei der Bereitschaftsplanung geringer sind. Hier gilt mein besonderer Dank der Europäischen Union und allen Regierungen, die bereits zu dieser globalen Anstrengung beigetragen haben. Ich versichere Ihnen, dass wir dafür Sorge tragen werden, dass Ihre Beiträge effizient und effektiv eingesetzt werden.

In Krisenzeiten vollbringen Gesundheitsfachkräfte oftmals Wunder. Sie sind die Helden bei der Bewältigung dieser Notlage. Das Gesundheitspersonal ist einer der Grundpfeiler unserer Gesundheitssysteme und der in den Internationalen Gesundheitsvorschriften geforderten Kernkapazitäten. In Situationen wie dieser müssen wir uns an die grundlegende Wichtigkeit von Investitionen in das Gesundheitspersonal erinnern, diese entscheidende Ressource für den Schutz unserer Länder und ihrer Bevölkerung.

Das Recht auf Gesundheit für alle

Es ist auch an der Zeit, uns an die Notwendigkeit zu erinnern, die Menschenrechte zu schützen und Stigmatisierung und Diskriminierung zu bekämpfen. In entscheidenden Zeiten wie dieser gilt es zu demonstrieren, was eine Maxime wie „niemanden zurücklassen“ wirklich bedeutet. Dieser Ausbruch unterscheidet nicht zwischen Rassen oder Nationalitäten. Und das sollten auch wir nicht bei unseren Gegenmaßnahmen. Von dieser Krankheit sind anfällige Personengruppen wie Senioren am häufigsten betroffen; sie sollten im Mittelpunkt unserer Schutzmaßnahmen stehen.

Darüber hinaus müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass kein Land allein für diesen Ausbruch verantwortlich ist und wir Schuldzuweisungen unterlassen müssen. Wir sitzen alle im selben Boot.

Sehr geehrte Minister und Delegierte, meine oberste Priorität besteht darin, Sie und Ihre Länder in diesen Zeiten der Herausforderung zu unterstützen. Niemanden zurückzulassen und die Führungskompetenz der nationalen Gesundheitsbehörden zu stärken – dies sind zwei Grundsätze meiner Zukunftsvision für Gesundheit in der gesamten Europäischen Region: Gemeinsam für mehr Gesundheit in Europa.

Wir müssen uns daran erinnern, dass dies ein neues Virus ist, über das wir jeden Tag und jede Stunde dazulernen müssen. Ich bedanke mich herzlich für Ihre Teilnahme an der heutigen Veranstaltung.

Seien Sie versichert, dass wir auch weiterhin alles in unseren Kräften Stehende tun werden, um Sie zu unterstützen und gemeinsam mit Ihnen diesen Ausbruch zu bewältigen.