„Die richtigen Daten zeigen den Umfang der Gesundheitsproblematik und die richtigen Informationen, helfen Auswege zu finden.“
Interview mit Peter Achterberg vom RIVM
Von den Daten zum Konzept
„Von der Erhebung der Daten und der Gewinnung der Erkenntnisse bis zum Aussprechen von Empfehlungen und zur Entwicklung einer Gesundheitspolitik ist es ein langer und steiniger Weg. In den Niederlanden sammeln wir eine Menge Daten, die zu Analysen und Berichten verdichtet im Internet veröffentlicht und mit Erkenntnissen verknüpft werden, die letztlich wesentliche Teile unserer nationalen und regionalen Gesundheitspolitik bestimmen.
Wir vergessen oft, dass am Anfang dieses Prozesses viele einzelne Personen stehen, welche die Daten in sehr unterschiedlichen Bereichen erheben. Wenn dem nicht so wäre, würden bestimmte Themen gänzlich von der Tagesordnung verschwinden oder neu auftretende Probleme erst erkannt werden, wenn es bereits zu spät ist. Und dann kann die Chance auf besseres Verstehen und erweitertes Wissen als Voraussetzung des Handelns ungenutzt verstreichen.“
Vergleiche sind gut
„Ich verstehe schon, dass der Austausch und Vergleich von Daten eine politische Herausforderung sein können. Wir wissen ja, dass einige Länder immer die Spitzenpositionen belegen, auch wenn mir bewusst ist, dass dies nicht für alle Themenbereiche gilt. Somit besteht eine Gefahr, dass wir die Länder am Tabellenende zu stark kritisieren und an den Pranger stellen, obwohl derartige Vergleiche doch gerade die Länder dazu anstacheln sollen, sich vorwärts zu bewegen und aufzusteigen, denn die Daten zeigen auch, dass dies möglich ist!
Internationale Vergleiche verleihen unseren Analysen eine zusätzliche Dimension. In den Niederlanden hat das wirklich funktioniert. Sie haben uns geholfen, Probleme zu erkennen, derer wir uns gar nicht bewusst waren, und uns in anderen Ländern danach umzusehen, wie sie das geschafft haben, damit wir erfolgreiche Praktiken übernehmen konnten. Die WHO hat dies auch schon oft mit Erfolg getan, etwa durch die sehr anschaulichen Daten aus der Gesundheit-für-alle-Datenbank, die für Ländervergleiche immer noch ein hilfreiches Instrument ist.
Vor ungefähr zehn Jahren haben wir einen Bericht zur Perinatalsterblichkeit in den Niederlanden veröffentlicht. Er zeigte, dass wir im internationalen Vergleich ganz unerwartet stark zurück gefallen waren. Es dauerte eine Weile und erforderte einige Wiederholungen, bis die Botschaft durchdrang und ein Bewusstsein bei den Menschen vor Ort und in den Medien entstand und das Thema auch im öffentlichen und politischen Diskurs behandelt wurde. Doch letztlich führte dies zu grundsätzlichen Änderungen und erheblichen Anstrengungen zur Beseitigung der zugrunde liegenden Probleme. Sowohl im Bereich der Prävention als auch in der Gesundheitsversorgung wurde im Sinne der Qualitätssteigerung gehandelt.“
Ungleichheiten in Angriff nehmen
„Meiner Ansicht nach ist die Frage gesundheitlicher Ungleichheiten zentral für die öffentliche Gesundheit und hier sind Informationen über die gesundheitlichen Ungleichheiten von großer Bedeutung. Ohne sie können Länder mit starken gesundheitlichen Ungleichheiten nur schwer Fortschritte erzielen. Sie profitieren von einem Austausch der besten Praktiken, insbesondere im Bereich der Gesundheitsinformationen.
Aufgrund der Erfahrungen des Regionalbüros im Bereich der Gesundheitsinformationen und seiner Fähigkeit, die Akteure an einen Tisch zu bringen, bin ich mir sicher, dass es eine führende Rolle in diesem großen Unterfangen spielen soll und kann, und dass das RIVM gemeinsam mit den anderen Beteiligten versuchen sollte, der Arbeit Nachdruck und Beständigkeit zu verleihen. Gesundheitsdaten und -informationen (Erkenntnisse) waren schon immer sehr wichtig und werden doch kaum als dringende Aufgabe angesehen.
Es ist doch relevant, wie andere Länder die Dinge anpacken und was wir voneinander lernen können. Die Arbeit im internationalen Zusammenhang ist letztlich der Lackmustest für den Erfolg der nationalen Arbeit und sie schafft die Möglichkeit, das eigene Wissen und Können mit dem anderer Länder zu vergleichen. Ich setze mich stark dafür ein, andere Länder in die gemeinsame Arbeit mit dem Regionalbüro einzubeziehen und so eine bessere Daten- und Informationslage im Bereich der Gesundheit in Europa zu schaffen.
Ich wünsche mir, dass das neue Gesundheitsinformationsportal, das wir derzeit im Rahmen dieser Initiative entwickeln, ein Ort sein wird, an dem man nicht nur Gesundheitsdaten, sondern auch Instrumente und Werkzeuge für den Bereich der Gesundheitsinformationen finden wird. Ich hoffe, es wird helfen, geeignete Erkenntnisse zu finden und anzuwenden, maßgeblichen Sachverstand auszumachen und die richtigen Gesprächspartner kennenzulernen.
Das Gesundheitsportal ist unser erstes handfestes Angebot an die Mitgliedstaaten, doch sobald sie es anwenden, werden sie auch sehen, dass sie selbst dazu beitragen können.“
Langfristige Koordinierung erforderlich
„Weil es im Bereich der Informationen und Daten in Europa mehrere Akteure gibt, hierunter die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die WHO, die Europäische Kommission und Eurostat, kann es natürlich zu Abstimmungsproblemen kommen, doch werden schon wesentliche Schritte zu einer besseren Koordinierung getan. Die nachhaltige Finanzierung ist ebenfalls ein wichtiges Thema. Ich habe schon viele Projekte erlebt, deren Finanzierung schon kurz nach Schaffung bzw. Aufbau einer Zusammenarbeit auslief. Im besten Falle sind dann die wertvollen Ergebnisse noch eine Zeit lang im Internet verfügbar, doch oft verschwinden sie schnell vollständig in irgendeiner Schublade. Und dann wird ein neues Projekt zur gleichen Problematik geschaffen.
Derzeit arbeitet die WHO aus mehreren konkreten Anlässen mit Experten zusammen, doch würde ich mir wünschen, dass das Regionalbüro mit größerer Beständigkeit eine zentralere Rolle übernimmt und Fachnetzwerke zusammenführt und mit ihnen kooperiert und hierbei auch mit der OECD und Eurostat zusammenarbeitet, damit Überschneidungen und doppelte Arbeit vermieden und das verfügbare Wissen und Können miteinander geteilt werden.
Meiner Meinung nach könnte diese Initiative wesentlich dazu beitragen, Unterstützung für die Umsetzung der WHO-Strategie „Gesundheit 2020“ zu gewinnen, weil Mitgliedstaaten und Partner hier sehr direkt beteiligt werden.“
Eine flexible Initiative
„Derzeit ist die Initiative unter dem Dach des RIVM angesiedelt, so dass wir keine gesonderte personelle Struktur, Gebäude, Leitungsgremien usw. benötigen. Das spiegelt auch die geänderte Sicht der Regierungen wider, die angesichts der aktuellen Wirtschaftskrise zögern, neue Einrichtungen zu unterstützen und dadurch Flexibilität zu verlieren und zugleich administrativ stärker belastet zu werden. Derzeit arbeiten vier bis fünf Kollegen des RIVM inhaltlich für die Initiative und drei bis vier IT-Spezialisten des RIVM kümmern sich um die Technik des Portals.
Wir unterstützen auch die WHO darin, Sachverständige an einen Tisch zu bringen, so dass aus der gesamten Region sehr viel mehr Köpfe flexibel einbezogen werden.“
Ausweitung unserer Zusammenarbeit mit der WHO
„Unsere Zusammenarbeit mit der WHO war schon immer sehr positiv. Die Niederlande haben die Organisation im Laufe der Geschichte stark unterstützt. Die Regierung betreibt ein Partnerschaftsprogramm mit der WHO, in dessen Rahmen Personal für gemeinsame Projekte abgestellt wird. Erst neulich hat das RIVM ein Abkommen mit dem Regionalbüro im Bereich der antimikrobiellen Resistenzen unterzeichnet und diese Initiative für Gesundheitsinformationen ist nur ein weiteres Beispiel.
Ich werde oft gefragt, was für die Niederlande dabei herausspringt, und ich antworte dann, dass wir uns dadurch in internationale Verbände einbringen und unsere Kenntnisse und Erfahrungen überprüfen können. Ich teile auch das ehrgeizige Ziel meines Direktors, dass das RIVM eines der besten Institute für Bevölkerungsgesundheit in Europa sein soll, und muss schon daher kooperieren und sehen, was in der Welt vor sich geht. Diese Initiative kann uns helfen, genau dies zu tun.
Die von uns jetzt mit der WHO geschaffene Initiative ist im beiderseitigen Interesse und wir hoffen, dass auch andere sich einbringen werden und dass die Partnerschaft somit für jeden offen wird und letztlich die Vermittlung der Erkenntnisse an die politischen Entscheidungsträger beschleunigt.
Unser Projekt soll wie ein Kristall organisch wachsen, indem wir nach und nach auch andere Mitgliedstaaten dafür gewinnen, denn alleine können wir es nicht schaffen. Die Sicherung einer engen Zusammenarbeit mit möglichst vielen Partnern vor Ort wird eine weitere wichtige Herausforderung sein.“