Einer aufkommenden Pandemiemüdigkeit entgegenwirken und die Verpflichtung der Öffentlichkeit zur Einhaltung der Präventionsmaßnahmen gegen COVID-19 wiederbeleben

WHO

In den vergangenen Wochen haben viele Länder über eine zunehmende „Pandemiemüdigkeit“ berichtet. Diese äußert sich darin, dass die Menschen weniger Motivation zeigen, die empfohlenen Verhaltensweisen zu befolgen, um sich selbst und andere vor dem Virus zu schützen.

Regierungen und Gesundheitsbehörden stehen daher angesichts der anhaltenden gesundheitlichen Krise vor der wachsenden Herausforderung, wirksame Wege zu finden, wie sich diese aufkommende Müdigkeit bekämpfen und die öffentliche Wachsamkeit wiederbeleben lässt.

Hochrangige Gesundheitsexperten aus über 30 Ländern und Partnerorganisationen in der Europäischen Region der WHO trafen am 5. Oktober bei einer virtuellen Sitzung zusammen, um das Verständnis für die aufkommende Pandemiemüdigkeit zu verbessern und sich über Erfahrungen hinsichtlich ihrer Bekämpfung auszutauschen.

Auf Wunsch der Mitgliedstaaten entwickelte das WHO-Regionalbüro für Europa darüber hinaus einen Rahmen mit Grundsatzempfehlungen, um Regierungen bei der Planung und Umsetzung nationaler und subnationaler Strategien zur Förderung der öffentlichen Unterstützung für Präventionsmaßnahmen im Kampf gegen COVID-19 anzuleiten.

Verständnis für die aufkommende Pandemiemüdigkeit

Prof. Cornelia Betsch, Inhaberin der Heisenberg-Professur für Gesundheitskommunikation an der Universität Erfurt, sprach über die Psychologie hinter der Pandemiemüdigkeit und erklärte, dass schützende Verhaltensweisen oft durch Angst motiviert werden, diese mit einer zunehmenden Anpassung an die Bedrohung jedoch nachlassen. Müdigkeit trete zudem auf, wenn wir die gleichen Dinge wiederholt über längere Zeit tun, fügte sie hinzu.

Die WHO definiert Pandemiemüdigkeit als eine natürliche und zu erwartende Reaktion auf anhaltende, unbewältigte Widrigkeiten im Leben der Menschen. Sie äußert sich in Form einer fehlenden Motivation, schützende Verhaltensweisen zu befolgen und sich entsprechend zu informieren, sowie durch ein Gefühl von Bequemlichkeit, Distanzierung und Hoffnungslosigkeit. Pandemiemüdigkeit entwickelt sich allmählich mit der Zeit und wird durch das kulturelle, soziale, strukturelle und legislative Umfeld beeinflusst.

Aus diesem Grund ist die Beobachtung der öffentlichen Meinung mit Hilfe von Instrumenten wie jenem, das vom WHO-Regionalbüro für Europa entwickelt wurde und bereits in 27 Ländern und Gebieten in der Region zum Einsatz kommt, ein wichtiger Ansatzpunkt, um wirksame Verhaltensänderungen zu bewirken.

Austausch über Erfahrungen aus den Ländern

Auf der Sitzung ergriffen zahlreiche Ländervertreter das Wort, um Beispiele für Maßnahmen anzubringen, die in ihren Ländern ergriffen wurden, um das öffentliche Engagement im Hinblick auf Maßnahmen zur Bekämpfung von COVID-19 zu gewährleisten. Zu den gemeinsamen Themen zählte hierbei etwa die Gewährleistung, dass diese Initiativen verständlich und logisch sein müssten, die Bedeutung der Sicherung von Existenzen und Jobs, die Ausrichtung der Maßnahmen auf spezifische Gruppen und die Berücksichtigung weiterer Barrieren neben Informationsdefiziten, die die Menschen davon abhalten, sich an die Empfehlungen zu halten (etwa ein fehlender Zugang zu sicherem Wasser, Händedesinfektionsmittel, Schutzmasken, geräumigen Lebensbedingungen usw.).

Einige Teilnehmer hoben zudem hervor, dass die Unterstützung von Initiativen zur Förderung der psychischen Gesundheit im weiteren Verlauf der Pandemie von entscheidender Bedeutung sein wird.

Rahmen mit Grundsatzempfehlungen

Katrine Bach Habersaat, kommissarische Leiterin des Referats für verhaltensbezogene und kulturelle Erkenntnisse beim WHO-Regionalbüro für Europa, stellte den im Regionalbüro entwickelten Rahmen zur Bekämpfung von Pandemiemüdigkeit vor. Dieser enthält vier zentrale Strategien:

  • Die Menschen verstehen: Evidenz erfassen und für gezielte, maßgeschneiderte und wirksame Handlungskonzepte, Interventionen und Kommunikation nutzen.
  • Die Menschen zu einem Teil der Lösung machen: Wege finden, um Einzelpersonen und Gemeinschaften auf allen Ebenen sinnvoll einzubinden.
  • Die Menschen dabei unterstützen, das Risiko zu senken, während sie die Dinge tun, die sie glücklich machen: umfassende Beschränkungen sind möglicherweise nicht für jedermann langfristig umsetzbar.
  • Die Strapazen, die die Menschen erdulden, und die tiefgreifenden Auswirkungen, die die Pandemie auf ihr Leben hat, anerkennen und an ihnen ansetzen.

Darüber hinaus enthält der Rahmen fünf bereichsübergreifende Grundsätze, die auf jede Initiative, jedes Konzept und jede Art der Kommunikation anwendbar sind: Transparenz, Fairness, Konsistenz, Koordination und Vorhersehbarkeit.

Ferner enthält das Papier eine kurze Liste konkreter Maßnahmen sowie Beispiele aus den Ländern, was diese unternommen haben, um die Menschen zu verstehen und einzubinden, die Risiken zu senken und die erduldeten Strapazen anzuerkennen.

Die nächsten Schritte

Unter den Teilnehmern herrschte weitgehende Einigkeit darüber, dass weitere Diskussionen zum Thema Pandemiemüdigkeit in einem regelmäßigen Forum erforderlich sind. Das WHO-Regionalbüro für Europa schlug zudem vor, eine Datenbank für Ländererfahrungen zu schaffen.

Zum Ende der Sitzung wurde das norwegische Konzept „dugnad“ herangezogen. Dabei geht es um die Unterstützung durch Einzelne, um einander oder einer Gemeinschaft zu helfen – eine Art Widerstandsfähigkeit innerhalb einer Gruppe, die es in den kommenden Monaten zu fördern gilt.

Nutzung der Verhaltens- und Kulturwissenschaft zur Förderung der Gesundheit

Bei dem Konzept verhaltensbezogene und kulturelle Erkenntnisse zur Förderung der Gesundheit geht es um Wissen aus den Sozialwissenschaften und gesundheitsbezogenen Humanwissenschaften, das uns dabei helfen kann, die Triebkräfte und Barrieren für die Verwirklichung des erreichbaren Höchstmaßes an Gesundheit besser zu verstehen.

Das erst kürzlich angenommene Europäische Arbeitsprogramm 2020–2025 legt einen klaren Schwerpunkt auf die Nutzung verhaltensbezogener und kultureller Erkenntnisse, und jüngst wurde im Regionalbüro ein neues Referat eingerichtet, um das Wissen in diesem Feld zu verbessern.