Entwicklung abgestimmter Maßnahmen zur Bewältigung der Migration in Sizilien

WHO

Francesco Bongiorno lebt in Sizilien und arbeitet als Berater für Migrationsfragen beim Regionalen Gesundheitsrat. Hier berichtet er mit eigenen Worten von seinen Erfahrungen bei der Verbesserung der Abstimmung von Maßnahmen zur Erfüllung der Bedürfnisse der neu angekommenen Migranten und Flüchtlinge.

Seit 1983 kommen Migranten auf der südlich von Sizilien gelegenen Insel Lampedusa an. Jahrelang kamen Tausende von Migranten dorthin, manche landeten auch im Bezirk Ragusa auf Sizilien. Manchmal sanken die Schiffe, bevor sie die italienische Küste erreichten, doch niemand außerhalb von Lampedusa oder Sizilien schien das zu bemerken. Dies alles änderte sich im Oktober 2013, nach der „Schiffskatastrophe von Lampedusa“, wie sie in der Presse genannt wurde. Es war ein massiver Schiffbruch mit einer hohen Zahl von Migranten an Bord. Ein paar Überlebende konnten gerettet werden, aber über 300 Personen konnten nur noch tot geborgen werden.

Nach diesem Ereignis begannen die Menschen zu verstehen, was schon seit längerer Zeit auf der Straße von Sizilien passiert. Bilder von Leichen, die 40 Meter unter Wasser auf dem Meeresgrund festhingen, gingen um die Welt. Der Papst besuchte den Ort der Katastrophe und rief dringend dazu auf, das Sterben auf dem Meer zu beenden. Auch die Öffentlichkeit war zunehmend empört über die Geschehnisse. All dies führte zu der ersten humanitären Hilfsaktion namens „Mare Nostrum“.

Heute sind sämtliche Anlandehäfen in Sizilien in die Bewältigung der Migration eingebunden. Denn nun kommen nicht mehr 100 oder 200 Menschen gleichzeitig an, sondern es sind Tausende bei jeder Anlandung. Dies hat Auswirkungen auf die gesamte Insel.

Anwendung und Erweiterung des Lampedusa-Modells

Im Laufe der Jahre hat das Lampedusa-Modell für die Aufnahme von Migranten international Vorbildcharakter erlangt. Es beinhaltet eine konsequente Triage, die erstmals von Dr. Pietro Bartolo eingeführt und später von der örtlichen Gesundheitsbehörde im Bezirk Palermo in Sizilien übernommen wurde. Ihr Ziel besteht darin, zunächst alle Personen zu identifizieren, die ernste Krankheiten oder Gesundheitsprobleme haben. Personen mit einer „roten Kodierung“ werden sofort ins Krankenhaus eingewiesen. In Lampedusa wird dazu ein Rettungshubschrauber eingesetzt, in Sizilien benutzen wir Krankenwagen. Inzwischen haben wir das Lampedusa-Modell auf alle Bezirke Siziliens ausgeweitet.

Eines unserer bisher besten Ergebnisse ist ein Notfallplan, den wir mit Unterstützung durch das WHO-Regionalbüro für Europa entwickelt haben und in dem wir konkret festlegen, wer für was zuständig ist. Aber da die Migration ein dynamischer Prozess ist, können wir es nicht bei diesem ersten Entwurf belassen. Der Plan muss ständig überprüft werden, weil sich die Prioritäten ständig verändern. Unflexible Pläne verlieren letztendlich ihre Zweckdienlichkeit, weil die Dinge fortlaufend in Bewegung sind.

Praktischer Erfahrungsaustausch zwischen den Ländern

Zwischen den Akteuren, die die Migration hier in Sizilien steuern – Polizei, Ärzte, örtliche Gesundheitsämter, nichtstaatliche und gemeinnützige Organisationen – gibt es erhebliche Synergieeffekte. Seit 2013 sammeln wir täglich neue Erfahrungen, und in diesem Zeitraum sind 300 000 Menschen bei uns angekommen. Das bedeutet: Triage im Hafen für 300 000 Menschen und Daten von 300 000 Menschen, die wir der ganzen Welt zur Verfügung stellen können.

Wir haben vielleicht unbewusst eine Reihe guter Praktiken entwickelt, die weltweit angewandt werden können. Doch wir haben weder die Mittel noch die Fähigkeit, diese Praktiken anderswo zu verbreiten. Dazu ist nur die WHO in der Lage. Mein Traum ist es, dass alle Länder von Spanien bis in die Türkei durch ein Gesundheitsnetzwerk miteinander verknüpft sind und bewährte Praktiken und wichtige Lehren miteinander austauschen. Schließlich passiert in Griechenland grundsätzlich das Gleiche wie in Sizilien; deshalb brauchen wir ein einheitliches Modell, an das wir uns alle halten können.