Fünfte Ministerkonferenz Umwelt und Gesundheit: Ansprache in Plenarsitzung 6: Die Zukunft des Prozesses Umwelt und Gesundheit in Europa
Zsuzsanna Jakab, WHO-Regionaldirektorin für Europa
12. März 2010
Sehr geehrte Damen und Herren Minister, Exzellenzen, sehr geehrte Kolle-ginnen und Kollegen, meine Damen und Herren!
In der ersten Sitzung dieser Konferenz vor zwei Tagen konnten wir die be-eindruckende Bilanz der Arbeit der Europäischen Region im Umweltbe-reich und die damit verbundenen Fortschritte betrachten.
Welche Lehren lassen sich aber aus der Vergangenheit ziehen?
Der Prozess Umwelt und Gesundheit für Europa hat erheblich zu den von uns hier begutachteten Fortschritten beigetragen.
An seinem Anfang wurde 1989 in Frankfurt der Ansatz der Krankheitsprä-vention in die Europäische Charta aufgenommen und damit deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Umwelt als die Quelle von Gesundheit und Wohlbefinden des Menschen behandelt werden sollte. Zugleich wurde die Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit für die Lösung umweltbe-dingter Gesundheitsprobleme anerkannt und das Europäische Zentrum für Gesundheit und Umwelt entstand.
Fünf Jahre später vereinbarten wir in Helsinki als einen internationalen Rahmen den Aktionsplan Umwelt und Gesundheit für Europa (EHAPE), der zur Entwicklung nationaler Aktionspläne für Umwelt und Gesundheit führte und damit die Umsetzung einen großen Schritt voranbrachte.
1999 wurde in London als erstes verbindliches Rechtsinstrument des Pro-zesses Das Protokoll über Wasser und Gesundheit angenommen, dem die Charta Verkehr, Umwelt und Gesundheit folgte.
Die Konferenz in Budapest vollzog im Jahr 2004 einen strategischen Wechsel im Prozess Umwelt und Gesundheit für Europa weg von der ge-trennten Thematisierung umwelt- und gesundheitsbezogener Fragen und hin zur Betrachtung der gesundheitlichen Folgen von Umweltbedingungen. Außerdem nahmen wir dort den Aktionsplan zur Verbesserung von Umwelt und Gesundheit der Kinder in der Europäischen Region der WHO an, der durch vorrangige Ziele der Region die Gesundheitschancen kommender Generationen in einer sich verändernden Umwelt vergrößern sollte.
Die Konferenz in Parma hat sich auf fortbestehende wie neu hinzugekom-mene Herausforderungen konzentriert. Dazu zählen der Klimawandel (ins-besondere im Zusammenhang mit den noch andauernden Verhandlungen auf globaler Ebene), Ungleichheiten im Bereich von Umwelt und Gesund-heit vor dem Hintergrund gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und ge-schlechtsbezogener Determinanten von Gesundheit sowie eine bessere sek-torübergreifende und grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Umset-zung. Erstmalig stellen wir auch nachprüfbare Ziele auf.
Im Laufe von zwei Jahrzehnten hat der Prozess uns somit von der Bestim-mung des Zusammenhangs zwischen Umwelt und Gesundheit über die Quantifizierung der Umwelteinflüssen zuzuschreibenden Krankheitslast und die Entwicklung sowohl unverbindlicher Verpflichtungen als auch rechtsverbindlicher Instrumente zum Aufstellen von Zielen und zur breite-ren Betrachtung von Umwelt und Gesundheit im Rahmen unserer Arbeit insgesamt geführt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
der Prozess Umwelt und Gesundheit für Europa ist fraglos ein herausra-gendes Beispiel dafür, wie mehrere Sektoren aus dem Bereich von Ge-sundheit und Umwelt gemeinsam auf ein Ziel zuarbeiten können.
Wenn wir in den kommenden Jahrzehnten ebenso viel für Umwelt und Ge-sundheit erreichen wollen wie bisher, dann müssen wir jedoch neue Kon-zepte entwickeln und konsequent umsetzen. Wir benötigen auch geeignete Strukturen für eine sektorübergreifende Zusammenarbeit auf nationaler wie internationaler Ebene, die der weiteren Entwicklung und Umsetzung evi-denzbasierter Konzepte zugute kommt. Und diese Strukturen müssen flexi-bel sein, damit sie unter Berücksichtigung mehrerer unterschiedlicher Ak-teure und Partner nach Bedarf angepasst werden können.
Bei Gesundheit und Umwelt handelt es sich nicht um wertneutrale Politikbe-reiche und das sollte auch nicht anders sein. Gerechtigkeit und Chancen-gleichheit sind die Prinzipien einer Gesellschaft, die das Recht auf Gesundheit und Wohlbefinden anerkennt und Umweltgerechtigkeit zu einem integralen Element in der Gewinnung von Synergieeffekten zwischen beiden Sektoren macht. Die stimmige Anwendung dieser Werte ist eine elementare Aufgabe für den Staat in Partnerschaft mit seinen Bürgern.
Nur dieser Ansatz ermöglicht mehr Gesundheit in Europa und erlaubt uns, für die Zukunft eine neue Politik für die öffentliche Gesundheit und die Umwelt zu entwickeln.
Meine Damen und Herren,
diese ehrgeizige Agenda lässt sich nur durchhalten und durchsetzen, wenn alle politischen und praktischen Mechanismen über verschiedene Ebenen und Sektoren sowie Ländergrenzen hinweg stimmig und nachhaltig zu-sammenwirken. Das wird nur möglich sein, wenn die politische Entschlos-senheit zwischen den Ministerkonferenzen in ausreichendem Maße fortbe-steht.
Entscheidend für künftige Fortschritte ist die funktionierende Abstimmung der Arbeit im Gesundheits- und im Umweltbereich und der Arbeit anderer Bereiche, Akteure und Partner. Der Wandel kann nur auf lokaler und natio-naler Ebene verwirklicht werden und hier zahlt er sich auch aus. Wo die er-forderlichen Strukturen im Bereich von Umwelt und Gesundheit noch nicht bestehen, sind die Mitgliedstaaten dazu aufgefordert, sie gemäß ihren kon-kreten nationalen Bedingungen zu schaffen und damit die Umsetzung so-wohl der heute zu beschließenden als auch früherer Verpflichtungen zu si-chern.
Die führenden Vertreter dieser nationalen Mechanismen sollten sich regel-mäßig auf Ebene der Region treffen, um Erfahrungen austauschen und die in der Umsetzung der Verpflichtungen erzielten Fortschritte sowie weiter bestehende Herausforderungen erörtern zu können.
Dies wird in der Europäischen Sonderarbeitsgruppe Umwelt und Gesund-heit als führendem Gremium auf Ebene der Region für die Umsetzung und Begleitung des Prozesses geschehen. Die Sonderarbeitsgruppe wird auch für den Informationsaustausch zwischen nationaler und internationaler Ebene und unter den Mitgliedstaaten sorgen. Sie wird die Kooperation zwi-schen Partnern und Akteuren aus staatlichen und nichtstaatlichen Bereichen auf internationaler Ebene erleichtern. Und sie wird regelmäßig den wissen-schaftlichen Erkenntnisstand begutachten, um angesichts neuer Herausfor-derungen, Konzepte und Lösungsansätze Rat erteilen zu können.
In der Sonderarbeitsgruppe werden weitere zentrale Akteure und Partner wie die Europäische Kommission und Einrichtungen der Europäischen Union und der Vereinten Nationen sowie nichtstaatliche Organisationen vertreten sein.
Die Sonderarbeitsgruppe hat einen Vorsitzenden und einen Ko-Vorsitzenden mit einer Amtszeit von einem Jahr.
Eine Zusammenkunft der Sonderarbeitsgruppe wird als hochrangige Halb-zeitbilanztagung durchgeführt werden. Daran würden auch leitende Medi-zinalbeamte, stellvertretende Minister oder Staatssekretäre sowie führende Vertreter von Umweltbehörden teilnehmen, sodass auch diese Leitungs-ebene an dem Prozess und den Beschlüssen beteiligt ist. Anlässlich dieser Tagung würden die inhaltlichen Fortschritte und der Prozess Umwelt und Gesundheit insgesamt näher beleuchtet.
Weitere Einzelheiten zu Zusammensetzung, Leitung und Aufgabenbereich der Sonderarbeitsgruppe sind in dem Konferenzdokument Der Prozess Umwelt und Gesundheit in Europa (2010-2016): Der institutionelle Rah-men enthalten.
Gleichzeitig ist offenkundig und unbestritten ein starker politischer Mecha-nismus auf Ministerebene erforderlich. Dieser würde für echte und volle Verantwortlichkeit gegenüber den Mitgliedstaaten und gegenüber den Lei-tungsgremien der WHO und der Wirtschaftskommission der Vereinten Na-tionen für Europa (UNECE) in den jeweiligen Bereichen sorgen.
Als letzten Vorschlag zur Zukunft des Prozesses möchte ich die Errichtung des Europäischen Ministerausschusses für Umwelt und Gesundheit nennen, durch den das Thema stärker und breiter gegenüber einer größeren Gruppe von Akteuren vertreten und für es geworben werden könnte, damit sich die Agenda in Richtung eines umfassenden Ansatzes der allgemeinen Gesund-heits- und Umweltpolitik in Europa entwickelt.
Der Europäische Ministerausschuss für Umwelt und Gesundheit wird poli-tisch profiliert und stark positioniert sein, da ihm unter Wahrung der geo-grafischen und sektoralen Ausgewogenheit vier Gesundheits- und vier Umweltminister, Vertreter der Europäischen Kommission und der Verein-ten Nationen angehören werden. Zwei Minister werden den Vorsitz führen. Sonderarbeitsgruppe und Ministerausschuss werden in der Praxis eng zu-sammen arbeiten und der Informationsfluss wird in beide Richtungen ver-laufen.
Der Ministerausschuss muss sich gegenüber dem WHO-Regionalkomitee für Europa und dem UNECE-Ausschuss für Umweltpolitik verantworten, sodass der Prozess Umwelt und Gesundheit in Europa aus beiden Gremien Legitimität schöpfen kann.
Der Aufgabenbereich und die Geschäftsordnung werden so gestaltet, dass politische Bedeutung, effektive Führung und Anknüpfung an den Prozess Umwelt und Gesundheit als Ganzes gesichert sind.
Abschließend ist es noch wichtig darauf hinzuweisen, dass sich der kom-mende Prozesszyklus mit der sechsten Ministerkonferenz im Jahr 2016 wieder schließen wird.
Sehr geehrte Delegierte,
sobald ich zur WHO-Regionaldirektorin für Europa gewählt worden war, habe ich den Konsultationsprozess mit den Mitgliedstaaten und Partnern zur Vorbereitung dieses Teils der Verpflichtungen von Parma eingeleitet. Die meisten von Ihnen haben sich an diesem Dialog beteiligt und zahlrei-che gute Vorschläge gemacht. Es gab viel Unterstützung für den neu zu be-schreitenden Weg und die Erörterungen und Verhandlungen wurden auf dieser Konferenz erfolgreich abgeschlossen.
Mutige Zielvorgaben für eine bessere Zukunft unserer Bevölkerungen er-fordern deutliche und vorwärtsweisende Entscheidungen. Die Welt verän-dert sich konstant und wir sollten nicht davor zurückschrecken, unsere Ar-beitsweisen dementsprechend anzupassen. Durch wohlüberlegte Änderun-gen können wir Effizienz, Effektivität, Transparenz und Durchschlagskraft hinzugewinnen.
Sie fragen sich jetzt vielleicht, wie wir gemeinsam in Zukunft einen rei-bungslosen Prozess sichern können. Meinerseits sichere ich Ihnen für die kommenden Jahre die volle Unterstützung und das Engagement des WHO-Regionalbüros für Europa als Sekretariat des Prozesses zu. Ich habe meine Prioritäten deutlich und öffentlich vertreten und jeder kennt sie: Umwelt und Gesundheit ist ein zentraler Bereich im Rahmen meiner umfassenderen Agenda, welche die Themen Gesundheit in allen Politikbereichen, gesell-schaftliche Determinanten, Zugewinn an Gesundheit und starke Partner-schaften umschließt.
Mein persönliches Engagement und das des Sekretariats sind Ihnen sicher. Ich bitte Sie nun, den Vorschlag für die Zukunft des Prozesses zu unterstützen und dadurch den fortgesetzten Erfolg unserer einzigartigen Arbeit für wei-tere 20 Jahre zu ermöglichen.
Ich danke Ihnen.