Die Krebslast in der Europäischen Union und in der Europäischen Region: Aktuelle Lage und mögliches Vorgehen

Rede anlässlich des informellen Gesundheitsministertreffens in Brüssel
Zsuzsanna Jakab, WHO-Regionaldirektorin für Europa

5. Juli 2010
 
Ich danke Ihnen dafür, dass Sie mich zu diesem Treffen in der ersten Woche des belgischen Vorsitzes im Rat der Europäischen Union (EU) eingeladen haben. Erlauben Sie mir Ihnen im Namen des WHO-Regionalbüros für Europa die besten Wünsche für die kommenden sechs Monate zu überbringen. Wir freuen uns darauf, gemeinsam an vordringlichen Gesundheitsthemen zu arbeiten, die Sie für die EU und über die EU hinaus bestimmt haben.

Krebs ist ein herausragendes Thema vieler europäischer Gesundheitsinitiativen, die Unterstützung und Beiträge von der WHO erhalten. Erst kürzlich wurde unter der Leitung Sloweniens, während dessen EU-Ratsvorsitz, und 2009 in der Europäischen Partnerschaft für Maßnahmen zur Krebsbekämpfung wichtige Arbeit geleistet. Die WHO begrüßt diese Anstrengungen im Kampf gegen Krebs als eine der größten Gesundheitsgefahren für die Bürger Europas. Das Regionalbüro plant seine Fachkompetenz und sein Auftreten in diesem Bereich zu stärken.

Krebs ist eine der wichtigsten Todesursachen in der Europäischen Region der WHO und wird hierin nur übertroffen von den Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Seine Inzidenz steigt in dem Maße, in dem die Bevölkerung altert und sich die Bekämpfung anderer Krankheiten, hierunter Herz-Kreislauf-Erkrankungen, schrittweise verbessert. Insgesamt steht Krebs für 20 % aller Todesfälle in der Region und jedes Jahr werden alleine in der EU 2,5 Mio. Neuerkrankungen diagnostiziert. Die WHO-Daten zeigen deutlich, wie unnötig dies ist. Lungenkrebs ist mit Abstand die tödlichste Krebserkrankung. In den zwölf EU-Mitgliedstaaten aus der Zeit vor Mai 2004 starben beinahe zweimal so viele Menschen daran wie an Brust-, Darm- oder Magenkrebs.

Einerseits sind Ungleichheiten inakzeptabel, die besonders bei vermeidbarem Krebs entstehen, wenn gesundheitspolitische Interventionen an vielen Orten in der Region einige, aber nicht alle Bevölkerungsgruppen erreichen. Andererseits weisen diese Ungleichheiten aber auch den Weg zum Handeln und zeigen, dass Fortschritte möglich sind, wenn die politischen Entscheidungsträger, Gesundheitsfachleute und Gesellschaftsgruppen gemeinsam für eine bessere Gesundheit arbeiten.

Die Komplexität der Krebsbekämpfung erschwert die Politikgestaltung, da ein integrierter Ansatz aus vertikalen und horizontalen Elementen benötigt wird. Überall in der Region wachsen ganzheitliche nationale Krebsstrategien heran, die von der Prävention bis zur Palliativversorgung reichen, und die WHO unterstützt diese Bemühungen mit großem Engagement. Derzeit arbeiten wir eng mit acht Mitgliedstaaten an der Überprüfung und Weiterentwicklung ihrer Krebsstrategien, doch hoffen wir, dass die Zahl mit den gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnissen noch steigt.

Primärprävention, insbesondere Tabakbekämpfung, ist zentral in dieser gesundheitspolitischen Strategie, denn wir arbeiten dafür, den Bürgern in der Region die Entscheidung für ihre Gesundheit zu erleichtern. Krebs unterliegt ähnlichen Risikofaktoren wie andere nichtübertragbare Krankheiten (etwa Herzkrankheit, Schlaganfall und Diabetes). Das WHO-Regionalbüro für Europa unterstützt im Rahmen der Europäischen Strategie zur Prävention und Bekämpfung von nichtübertragbaren Krankheiten einen integrierten Ansatz aus Krankheitsvorsorge und Gesundheitsförderung. Dazu passen die Strategien, Rahmenkonzepte und Aktionspläne der WHO gegen individuelle Risikofaktoren wie Tabak, Alkohol, unsichere Lebensmittel und schlechte Ernährung, Adipositas, Bewegungsarmut und ungesunde Umweltbedingungen.

Ebenfalls zentral ist die Früherkennung. In den meisten Ländern werden zwar bereits Reihenuntersuchungen für Brust und Gebärmutterhalskrebs angeboten, doch für Darmkrebs entstehen solche Angebote erst jetzt. Außerdem bestehen zwischen den Untersuchungen für diese drei Krebsarten erhebliche Unterschiede hinsichtlich ihrer empfohlenen Zielgruppe und Häufigkeit. In den vergangenen drei Jahren hat das Regionalbüro mit politischen Akteuren aus 40 Ländern Programme zur Prävention von Gebärmutterhalskrebs und Reihenuntersuchungen entwickelt. Ergänzt wurde diese Arbeit durch das breiter angelegte Bemühen des Regionalbüros um stärkere Gesundheitssysteme und insbesondere eine bessere Qualitätssicherung.

All diese Anstrengungen werden das Screening selbst, aber auch die integrierte Versorgung einschließlich der Palliativpflege verbessern. Der Krebsbereich wächst in der gesamten Region an Bedeutung und deshalb werden viele Länder die fachliche Unterstützung erfahrener Experten benötigen. 2008 veranstaltete das Regionalbüro eine Tagung zum Thema Palliativversorgung mit den einschlägigen Kooperationszentren aus der Region. So sollte eine lose Partnerschaft zwischen diesen Zentren und dem Regionalbüro geschaffen und ein koordiniertes und systematisches fachliches Vorgehen in den Ländern erreicht werden.

Die Forschung, insbesondere die translationale Forschung, und hierunter das Studium der Wechselwirkungen zwischen Genen, Lebensweisen und Umwelteinflüssen, benötigt weitere Anreize und Hilfen, damit in der Praxis die bestmögliche Gesundheitsversorgung gegeben werden kann. Daher beabsichtigt das Regionalbüro, seine Zusammenarbeit mit dem Internationalen Krebsforschungszentrum (IARC) zu verstärken. Derzeit gibt es jedoch besonders zwei Prioritäten: koordinierte und umfassende Krebsregister in der ganzen Region und eine gründliche Überprüfung der europäischen Richtlinien für Forschung und Datenschutz. Überdies müsste die Verhaltensforschung ergründen, warum bekanntermaßen vermeidbaren Erkrankungen nicht vorgebeugt wird.

Hier wie in anderen Fällen wird die Führungsarbeit des Regionalbüros über den Erfolg mitentscheiden. Die WHO erkennt ihre Führungsverantwortung und wird durch ihre Fachkompetenz in enger Zusammenarbeit mit der EU und den WHO-Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene die erforderliche politische Führungsarbeit unterstützen, die für eine Durchführung auf dieser Ebene erforderlich ist.

Gemeinsame Strategien – hierunter der Austausch über bewährte Praktiken, koordinierte Forschung und Politikformulierung sowie eine kohärente und transparente Zusammenarbeit zwischen allen Akteuren – dienen den Bemühungen der Länder. Die weitere Schaffung von Synergieeffekten, Foren und Kanälen für konzertierte Maßnahmen wird für die WHO in diesem Zweijahreszeitraum und darüber hinaus eine Priorität sein und wir freuen uns auf die Arbeit mit den WHO-Mitgliedstaaten (innerhalb wie außerhalb der EU) für eine Verbesserung der Krebssituation und eine bessere Bevölkerungsgesundheit in der gesamten Europäischen Region.

Ich danke Ihnen.