Eröffnungsansprache der Regionaldirektorin auf dem Subregionalen Grundsatzdialog über die Mobilität von Gesundheitsfachkräften in Mittel- und Osteuropa
Budapest, 5. April 2011
Sehr geehrter Herr Minister Szócska, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren,
ich freue mich, heute an dieser wichtigen Veranstaltung teilnehmen zu können – der Vorstellung der Publikation Health professional mobility and health systems: evidence from 17 European countries (dt.: Mobilität von Gesundheitsfachkräften und die Gesundheitssysteme: Erkenntnisse aus 17 Ländern der Europäischen Region) und der Eröffnung des Subregionalen Grundsatzdialogs über die Mobilität von Gesundheitsfachkräften in Mittel- und Osteuropa.
Die internationale Anwerbung von Gesundheitsfachkräften und die damit verbundenen Migrationsströme bilden eine Thematik, die seit Ende der 1990er Jahre in der globalen Gesundheitspolitik stetig an Bedeutung gewonnen hat. Immer schon haben Ärzte, Pflegekräfte und andere Gesundheitsberufe auf der Suche nach neuen Chancen und besseren beruflichen Aussichten die Möglichkeit genutzt, ins Ausland zu gehen. Doch in den letzten Jahrzehnten hat sich das Ausmaß der Migration erheblich erhöht; gleichzeitig sind die Migrationsmuster komplizierter geworden, so dass heute mehr Länder an diesem Prozess beteiligt sind.
Wir stehen heute vor einer globalen Personalkrise im Gesundheitswesen: weltweit fehlen ca. 4,5 Mio. Gesundheitsfachkräfte. In vielen Ländern mit niedrigem bis mittlerem Einkommen gibt es inzwischen nicht mehr genügend Gesundheitspersonal, um auch nur die elementarste Gesundheitsversorgung zu gewährleisten. Dieser bedenkliche Engpass beeinträchtigt unsere kollektive Fähigkeit, die gesundheitsbezogenen Millenniums-Entwicklungsziele zu erfüllen.
Der weltweite Personalmangel könnte sich in den nächsten Jahren verschärfen. Denn die Nachfrage nach Gesundheitsfachkräften wird in reichen wie armen Ländern deutlich zunehmen. Personalengpässe in den wohlhabenderen Ländern haben eine starke Signalwirkung auf die ärmeren Länder, was zwangsläufig eine verstärkte Abwanderung von Gesundheitspersonal zur Folge hat. Durch diese Abwanderung von Fachkräften aus den ärmeren Ländern, die in ihre Ausbildung investiert haben, wird das Recht der Menschen in diesen Ländern auf Gesundheit gefährdet. Dies stellt die Regierungen vor eine beträchtliche politische Herausforderung.
Die Folgen der Mobilität von Gesundheitsfachkräften sind in den letzten Jahren zu einem gewichtigen politischen Thema geworden.
Um diesem Problem weltweit Rechnung zu tragen und gegen die weltweite Personalknappheit im Gesundheitswesen anzukämpfen, hat die Weltgesundheitsversammlung 2004 die WHO gebeten, einen Verhaltenskodex für die grenzüberschreitende Anwerbung von Gesundheitsfachkräften auszuarbeiten.
Das WHO-Regionalbüro für Europa und die Mitgliedstaaten in der Europäischen Region haben die Ausarbeitung und Annahme des Verhaltenskodexes nachdrücklich unterstützt und dabei auf ihrer Erfahrung mit ähnlichen Kodizes auf nationaler oder regionaler Ebene, mit ethisch fundierten Personalkonzepten und mit anderen Instrumenten zur Steuerung der Mobilität von Gesundheitsfachkräften sowie auf allgemeineren Aspekten der Personalpolitik und -planung im Gesundheitsbereich aufgebaut.
Nach Beratungen auf zahlreichen internationalen und nationalen Foren und nach Konsultationen mit allen maßgeblichen Akteuren nahm die 63. Weltgesundheitsversammlung am 21. Mai 2010 den Globalen Verhaltenskodex der WHO für die grenzüberschreitende Anwerbung von Gesundheitsfachkräften an.
Dieser ist der einzige globale Rahmen für eine internationale Zusammenarbeit bei der Anwerbung von Gesundheitsfachkräften. Er bietet den Mitgliedstaaten gezielte Orientierungshilfe in Bezug auf international akzeptierte ethische Normen und Grundsätze für die Migration medizinischer Fachkräfte, rät von der Abwerbung aus Ländern mit Personalengpässen ab und erstellt Leitlinien für die Stärkung des Gesundheitspersonals und der Gesundheitssysteme in aller Welt, wobei auch Aspekte wie das Halten von Mitarbeitern, die Nachhaltigkeit der Personalkonzepte und eine effektive Personalplanung berücksichtigt werden. Mit ihm sollte ein wirksamer und dauerhafter Beitrag zur Bewältigung der globalen Personalkrise im Gesundheitswesen geleistet werden.
Der Kodex ist von Bedeutung für die Europäische Union und für die Europäische Region insgesamt. Er bildet einen Rahmen für die Entwicklung des Fachkräfteangebots und die Gewährleistung der Nachhaltigkeit von Gesundheitssystemen. In diesem Rahmen werden Maßnahmen in den Bereichen Bildung und Ausbildung sowie Überwachung und Koordinierung des Arbeitsmarktes gestärkt und weiterentwickelt, und es wird der unausgewogenen Verteilung von Gesundheitsfachkräften durch Bildungskonzepte, finanzielle Anreize, Regulierungsmaßnahmen und soziale und berufliche Unterstützung gezielt entgegengewirkt.
Der Verhaltenskodex ist zwar freiwilliger Natur, doch enthält er Bestimmungen für die Überwachung der Bemühungen von Regierungen, ihre Politik auf seine Anforderungen abzustimmen.
Wirksame Konzepte für die Bewältigung der Antriebskräfte, Trends und Auswirkungen der Migration von Fachkräften müssen in einer soliden Evidenzgrundlage verankert sein. Obwohl Informationen über die Migration von Gesundheitspersonal heute leichter zugänglich sind, müssen noch in größerem Umfang weitere Erkenntnisse über die internationalen Migrationsströme gewonnen werden.
In dem Verhaltenskodex werden die Mitgliedstaaten ermutigt, Informationssysteme über die Gesundheitsberufe einzurichten bzw. auszubauen und darin auch Informationen über Migrationsbewegungen zu speichern, um im Hinblick auf wirksame personalpolitische Konzepte und Pläne im Gesundheitswesen über einschlägige Daten zu verfügen, die dann zu analysieren und politisch umzusetzen sind.
Entscheidende Voraussetzung für den Erfolg des Verhaltenskodexes ist eine Einigung in Bezug auf Datensätze und Informationsaustausch. Der Prozess kann nur an Dynamik gewinnen, wenn ein solider Grundstock an Wissen und Evidenz entsteht, der bei der Beantwortung der Frage helfen kann, wie die Ströme so gestaltet werden können, dass sie gemeinsame, nachhaltige Lösungen und gegenseitigen Nutzen ermöglichen.
In der Publikation, die Ergebnisse aus dem Projekt PROMeTHEUS enthält, werden Erkenntnisse aus 17 Ländern über die Mobilität von Gesundheitsfachkräften in Europa präsentiert. Diese Arbeit ist ein ausgezeichnetes Beispiel für eine länderübergreifende wissenschaftliche Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Mobilität von Gesundheitsfachkräften. In dem heute vorgestellten Buch werden Mobilitätsmuster und die Auswirkungen der Migration auf die Gesundheitssysteme sowie die Relevanz dieser Zusammenhänge für politische Entscheidungsprozesse und Handlungskonzepte in der gesamten Europäischen Region umfassend analysiert.
Ich begrüße deshalb diesen Band, weil er vor allem die Notwendigkeit verdeutlicht, die Mobilität der Gesundheitsberufe in den breiteren Kontext der Politik und der Gesundheitssysteme der Länder zu stellen.
Ich wünsche Ihnen eine fruchtbare Tagung und ergiebige Gespräche über die Mobilität von Gesundheitsfachkräften, die wohl eine der größten Herausforderungen für die heutige Gesundheitspolitik ist.