Rede zur Eröffnung des erweiterten Europäischen Zentrums für Umwelt und Gesundheit

14. Februar 2012, Bonn

Sehr geehrte Herren Bundesminister Dr. Röttgen und Bahr, Oberbürgermeister Nimptsch, meine Damen und Herren!

Es ist mir eine große Ehre und Freude, Sie heute alle zur Wiedereröffnung des erweiterten Europäischen Zentrums der WHO für Umwelt und Gesundheit in Bonn begrüßen zu dürfen. Es ist mir eine angenehme Pflicht so viele Würdenträger, Partner und Kollegen aus einem so fröhlichen Anlass wie diesem begrüßen zu dürfen.

Mein besonderer Dank gilt der Bundesrepublik Deutschland für ihre Entscheidung zur Ausweitung der Partnerschaft mit der WHO und für ihre herausragende und großzügige finanzielle Unterstützung der konsolidierten Arbeit im Bereich von Umwelt und Gesundheit.

Das Europäische Zentrum für Umwelt und Gesundheit wurde ursprünglich 1991 mit finanzieller Unterstützung Frankreichs, Italiens und der Niederlande gegründet. Nach Schließung der Büros in Frankreich und den Niederlanden wurde im Jahr 2001 mit finanzieller Unterstützung durch die Regierung der Bundesrepublik Deutschland das Bonner Büro als Ergänzung zum Büro in Rom eröffnet, das jedoch Ende 2011 schloss. Nach Unterzeichnung der neuen Vereinbarung am vergangenen Montag in Kopenhagen ist das Büro jetzt die Hauptanlaufstelle für die Arbeit im Bereich von Umwelt und Gesundheit in der gesamten Europäischen Region.

Umweltbedingte Krankheitslast

20% der heutigen Krankheitslast in der Europäischen Region der WHO sind vermeidbaren Umweltrisiken und -belastungen zuzuschreiben und bei Kindern unter 15 Jahren liegt dieser Anteil sogar bei 34%.

Alterung und Langlebigkeit, Urbanisierung, Mobilität, sich verändernde Muster der Nahrungsmittelproduktion und der Ernährung, Wassernutzung, wirtschaftliche und politische Aktivitäten, berufsbedingte Belastungen, Veränderungen der Bodennutzung und Raumplanung sowie Veränderungen des Klimas, der biologischen Vielfalt und der Ausbeutung natürlicher Ressourcen einschließlich Energie sind die wichtigsten umweltbedingten Determinanten für die Gesundheit. Folglich haben Interventionen des öffentlichen Gesundheitswesens mit dem Ziel, diesen Faktoren durch primäre Krankheitsprävention entgegenzuwirken, beträchtlichen Einfluss auf die Gesundheit und das Wohlergehen der Menschen.

Sozioökonomische Benachteiligung und der aktuelle Abschwung der Weltwirtschaft wirken sich jedoch auf den Abbau der umweltbedingten Gesundheitsrisiken negativ aus. Unabhängig von dem Wohlstand eines Landes sind die Angehörige der unteren Einkommensklassen und die sozial Benachteiligten überall einem größeren Risiko gesundheitsschädlicher Umwelteinflüsse ausgesetzt als die übrigen Mitglieder einer Gesellschaft.

In den zurückliegenden Jahren hat das Zentrum in Bonn die Sammlung wissenschaftlicher Erkenntnisse über Umweltbelastungen und ihre Gesundheitsfolgen koordiniert und so den politischen Entscheidungsprozess unterstützt.

Es hat zum Beispiel veranschlagt, dass die Bürger in der Europäischen Region der WHO infolge einer über den von der WHO empfohlenen Werten liegenden Luftbelastung im Durchschnitt 8,6 Monate an Lebenserwartung einbüßen. Es ist zu dem Schluss gelangt, dass Verkehrslärm im Westen der Region Jahr für Jahr zum Verlust von mehr als einer Million gesunder Lebensjahre führt. Es hat herausgefunden, dass unangemessene Wohnbedingungen in der Europäischen Region jedes Jahr mehr als 100 000 Menschen das Leben kosten.

Erneuertes Europäisches Zentrum für Umwelt und Gesundheit

Meine Damen und Herren,

Dank des zusätzlichen Finanzierungsbeitrags Deutschlands kann das Zentrum seinen Aktionsradius nun um vier Hauptbereiche erweitern: Klimawandel, Belastung durch zentrale Umweltrisiken (Luftverschmutzung, Lärm, Chemikalien, Strahlung, ungünstige Arbeits- und Wohnbedingungen), gesundheitsrelevante Umwelterkenntnisse und Prognosen sowie Wasserver- und Abwasserentsorgung. 

Die vier zu diesen Themen neue geschaffenen Programme werden die Arbeit zu Art und Umfang bestehender und künftiger umweltbedingter Gesundheitsgefahren verstärken und den Ländern der Region helfen, Konzepte zu deren Bewältigung zu entwickeln und zu verwirklichen.

Wegen der Zunahme von Umweltkatastrophen wird das Zentrum auch seine Kapazitäten für Notfallplanung, Katastrophenschutz und Wiederaufbau ausbauen und die Zusammenarbeit zwischen den Ländern und den Austausch von Erfahrungen fördern.

Das Zentrum wird die Evidenzbasis bereitstellen, die wir alle zur Bearbeitung von Umweltthemen benötigen, die sich auf Gesundheit und Wohlbefinden im 21. Jahrhundert auswirken. Das Zentrum spielt auch für das neue Rahmenkonzept der Europäischen Region „Gesundheit 2020“ eine wichtige Rolle, das derzeit von der WHO in Partnerschaft mit ihren Mitgliedstaaten entwickelt wird. Mit diesem neuen Rahmenkonzept sollen Gesundheit und Lebenserwartung in der Region weiter gefördert, dazu alle Sektoren involviert und in erster Linie Ungleichheiten in diesem Teil der Welt in Angriff genommen werden. In ihm werden soziale und ökologische Determinanten als die wichtigsten Antriebskräfte der großen Belastung durch chronische und nichtübertragbare Erkrankungen bezeichnet.

Das Zentrum hat jetzt diesen Querschnittsbereich in seine Prioritäten aufgenommen und wird auch hier seinen Beitrag leisten. Laut dem heute neu von uns vorgestellten Bericht riskieren arme Menschen in jedem Land bis zu fünfmal stärker Umweltgefahren ausgesetzt zu sein als ihre wohlhabenderen Mitbürger. 

Der internationale Einsatz zur Beseitigung von Armut und zur Verbesserung der Gesundheit, zur Förderung ökologischen Wirtschaftens und zur Sicherung nachhaltiger Entwicklung für eine Welt, in der sich die Menschheit im Einklang mit Natur und Kultur fortentwickelt, wird nicht ohne eine starke Betonung der Beseitigung von Umweltgefahren und des verantwortlichen Umgangs mit natürlichen Ressourcen, mit Wasser, mit Nahrungsmitteln und mit Energie gelingen. 

Prozess Umwelt und Gesundheit in Europa

In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat das Europäische Zentrum für Umwelt und Gesundheit den Prozess Umwelt und Gesundheit in Europa theoretisch und praktisch unterstützt, der auf der ersten Ministerkonferenz zum Thema 1989 in Frankfurt am Main eingeleitet wurde. Dieser Prozess sichert das politische Engagement der Länder im Kampf gegen die Umweltgefahren an vorderster Front der Politikgestaltung und -umsetzung. Er hat Gesundheits- und Umweltsektor in einer starken Partnerschaft vereint, die sektorübergreifend unter voller Beteiligung unterschiedlicher Akteure aus allen Teilen der Gesellschaft zum Tragen kommt.

Während der fünften Ministerkonferenz in Parma 2010 einigten sich die 53 Länder der Europäischen Region der WHO erstmals auf messbare konkrete Ziele, die innerhalb gewisser Fristen erreicht werden sollen. In der Erklärung von Parma bekannten sie sich dazu, im kommenden Jahrzehnt einen gleichberechtigten Zugang zu gesundheitsförderlichen Umwelten durch die „Auseinandersetzung mit den gegenwärtig wichtigsten Herausforderungen des umweltbezogenen Gesundheitsschutzes, wie Klimawandel, neue Sachfragen und die Auswirkungen der Wirtschaftskrise“ zu schaffen.

Dieses einzigartige starke Engagement ist auch Teil meiner Zukunftsvision für den Prozess Umwelt und Gesundheit für Europa in einer Ausprägung, in der eine stärkere politische Profilierung durch direkte Beteiligung von Ministern am neu geschaffenen Europäischen Ministerausschuss für Umwelt und Gesundheit gewonnen werden soll.

Partnerschaften

Wir vertreten eine ganzheitliche Sicht von Umwelt und Gesundheit. Die meisten Umweltgefahren entstehen in anderen Sektoren als dem Gesundheitsbereich, doch verursachen sie am Ende hier die Gesundheitskosten. 

Alle unsere Programme für Umwelt und Gesundheit arbeiten schon lange mit anderen in der Europäischen Region tätigen Einrichtungen zusammen: mit den Vereinten Nationen und internationalen Organisationen wie der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa und dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen oder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, mit der Europäischen Kommission und ihren Agenturen wie der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und der Europäischen Umweltagentur, mit nichtstaatlichen Organisationen, mit Massenmedien und Stiftungen sowie mit führenden akademischen Institutionen und WHO-Kooperationszentren. Und sie erkunden die Möglichkeit weiterer Partnerschaften auf der Grundlage gemeinsamer Werte und Ziele im Bereich der Gesundheit.

Ausdrücklich möchte ich möchte hier die besondere Partnerschaft mit Deutschland erwähnen, dessen weitsichtige Regierung die Fortsetzung und Erneuerung unser Arbeit im Bereich von Umwelt und Gesundheit ermöglicht hat. Dies bezieht sich nicht nur auf die Finanzierung eines Schlüsselbereichs unserer Arbeit, sondern auch auf das verstärkte Engagement für gemeinsame wichtige Ziele, deren Erreichen wichtige Beispiele in der Europäischen Region setzen.

Zukunft des Europäischen Zentrums für Umwelt und Gesundheit

Ich denke, das Europäische Zentrum für Umwelt und Gesundheit ist sehr auf die Zukunftsfragen unserer Zeit eingestimmt, und sehe in ihm ein Exzellenzzentrum der Region, das die Mitgliedstaaten darin unterstützt, für alle Bürgern in gleicher Weise gesundheitsförderliche Umfelder zu schaffen. 

So wird das Zentrum die Mitgliedstaaten darin unterstützen, Fortschritte in der Armutsbekämpfung durch Aufgreifen des Umweltthemas als der wichtigsten Gesundheitsdeterminante in Verbindung mit Armut zu erzielen, strategische Ziele im Bereich des Klimawandels unter Betonung eines Abbaus des Treibhausgasausstoßes im Gesundheits- und Sozialbereich zu verwirklichen, sich auf umweltbedingte Gesundheitskatastrophen vorzubereiten und diese abzuwehren, die Zentralität des Themas Umwelt und Gesundheit für die Gesundheitssysteme und den gesamten Staat zu sichern sowie mehr Gerechtigkeit im Bereich Umwelt und Gesundheit, mehr Investitionen in den umweltbezogenen Gesundheitsschutz und einen besseren Schutz für die schwächsten Gruppen zu fordern.

Dies ist keine leichte Aufgabe, doch durch die gemeinsame Arbeit für die Bewältigung von Umweltgefahren über Sektorengrenzen hinweg können wir greifbare Ergebnisse in der gesamten Europäischen Region erzielen und die Gesundheit der Menschen wirklich verbessern. Ich glaube, Sie werden mir alle hierin beipflichten. 

Exzellenzen, meine Damen und Herren!

Die Bemühungen um die Konsolidierung unserer Arbeit im Bereich Umwelt und Gesundheit haben mehr als ein Jahr gedauert. Das war für die WHO ein kompliziertes, ja diffiziles Unterfangen, in dem die Organisation den Rahmen und den Inhalt der Programme für Umwelt und Gesundheit überprüfen und diesen wichtigen Arbeitsbereich neu aufstellen wollte. All dies in einer Gemengelage, in der einige Partner und Geber ihre Prioritäten änderten (einige in positiver, andere in negativer Richtung), in der die Finanzkrise die Nachhaltigkeit der Programme gefährdete, in der globale Prozesse wie das Verfolgen der Milllenniums-Entwicklungsziele, einer nachhaltigen Entwicklung und der Erarbeitung von „Gesundheit 2020“ neue Rahmen schufen, zu denen sich der Bereich Umwelt und Gesundheit wirksam verhalten musste.

All das wurde nun zu einem erfolgreichen Ende geführt. Entscheidend hierfür waren das große Engagement der Bundesregierung für eine wesentliche Ausweitung ihrer Partnerschaft mit der WHO und der erhöhte Finanzierungsbeitrag für das Zentrum in Bonn, die unermüdliche Arbeit der Verhandlungsdelegationen (Birgit Wolz und Alexander Nies für die eine und Srdan Matic und Michal Krzyzanowski für die andere Seite) für eine sehr gute Vereinbarung, die alle Hindernisse aus dem Weg räumte, und schließlich die volle Unterstützung durch die betreffenden und vom Übergang betroffenen WHO-Kollegen.

Das Aus für das Büro in Rom war für die betroffenen Kollegen und die Organisation eine geradezu traumatische Erfahrung des Übergangs und der Unsicherheit, für die ein besseres Ende kaum denkbar war.

Der heutige Tag wird als Neuanfang für die Arbeit der WHO im Bereich Umwelt und Gesundheit in Erinnerung bleiben. Und er kann einen Meilenstein in der andauernden Partnerschaft zwischen der WHO und Deutschland markieren.

Lassen Sie mich also nun verkünden, dass das erneuerte Europäische Zentrum der WHO für Umwelt und Gesundheit hiermit eröffnet ist und den Mitgliedstaaten für eine bessere Gesundheit und Umwelt in der Europäischen Region zu Diensten steht!