Erklärung – Überblick über die aktuelle Lage rund um COVID-19: Wir alle müssen unseren Teil beitragen, technologische und pharmazeutische Entwicklungen bieten uns einen neuen Horizont und die Rechte von Kindern müssen gewahrt werden (Erklärung auf Russisch abgegeben)
Erklärung von Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa
24. November 2020
Mittlerweile wurden der WHO in der Europäischen Region der WHO über 17,1 Mio. COVID-19-Fälle und nahezu 380 000 Todesfälle gemeldet, wobei allein im November über 4 Mio. weitere Fälle hinzukamen. Im östlichen Teil unserer Region, einschließlich in Zentralasien, ergibt sich nach wie vor ein uneinheitliches Bild mit unterschiedlichen Tendenzen in unterschiedlichen Ländern. Da mehrere Länder auf subnationaler Ebene einen erheblichen Anstieg der Fallzahlen verzeichnen und der Winter vor der Tür steht, müssen wir weiterhin wachsam bleiben und unsere Anstrengungen zur Vorbereitung auf einen weiteren sprunghaften Anstieg und zu dessen Verhinderung verstärken.
In den letzten zwei Wochen stieg die Zahl der durch COVID-19 bedingten Todesfälle um 18%. Allein in der vergangenen Woche wurden in der Europäischen Region mehr als 32 000 durch COVID-19 bedingte neue Todesfälle registriert. Das bedeutet, dass alle 17 Sekunden ein Mensch in der Europäischen Region an COVID-19 stirbt. Ich möchte erneut betonen, dass wir jedes Mal, wenn wir uns an die geltenden Empfehlungen halten, die Verbreitung von falschen Informationen verhindern und gegen Verleugnung vorgehen, dazu beitragen, den Verlust von Menschenleben aufgrund von COVID-19 zu verhindern. Gegenwärtig verlieren wir tagtäglich durchschnittlich 4500 Menschenleben durch COVID-19. Das ließe sich verhindern.
Gesundheitsfachkräfte und Sozialarbeiter, auf die wir uns verlassen, wenn es darum geht, die älteren Mitglieder unserer Gesellschaft zu schützen, stehen unter einem enormen Druck. Sie und ihre Familien bringen dafür große Opfer. Sie müssen sich wie nie zuvor darauf verlassen können, dass Sie sich verantwortungsbewusst verhalten und sie in der uns bevorstehenden schwierigen Zeit unterstützen.
Die Zahl der wöchentlichen Neuinfektionen ist von über 2 Mio. Fällen in der vorletzten Woche auf rund 1,7 Mio. Fälle in der vergangenen Woche gefallen. Ein kleines Signal, aber immerhin.
Ich bin der festen Überzeugung, dass nun mehr Grund zur Hoffnung besteht als in den vergangenen Monaten Grund zur Verzweiflung bestand.
Drei wichtige Punkte am heutigen Tag
Erstens, wenn wir alle unseren Beitrag leisten, lassen sich Lockdowns vermeiden. Ich halte weiterhin an meinem Standpunkt fest, dass Lockdowns nur ein letzter Ausweg sein können. Mit ihnen gehen erhebliche Kollateralschäden einher, darunter etwa Folgen für die Wirtschaft, zunehmende psychische Gesundheitsprobleme, der Missbrauch von Alkohol und Drogen, geschlechtsspezifische Gewalt und die Unterbrechung unentbehrlicher Gesundheitsangebote. Der Gebrauch von Schutzmasken ist bei weitem kein Allheilmittel, sondern muss mit anderen Maßnahmen kombiniert werden. Er ist jedoch zur Verringerung der Übertragung des Virus von entscheidender Bedeutung. Ich plädiere daher für ein auf dem Ausmaß der Übertragung in der Gesellschaft basierendes Stufensystem, das eine Reihe verhältnismäßiger Maßnahmen umfasst, die auf jeder einzelnen Stufe zu berücksichtigen wären. Dadurch ließen sich die staatlichen Maßnahmen besser entlang eines Gefälles der Schwere einordnen, das sich in beide Richtungen entwickeln kann.
Zweitens bieten uns Technologien und pharmazeutische Entwicklungen einen neuen Horizont. Während entsprechende Impfstoffe die COVID-19-Pandemie nicht vollständig stoppen und nicht all unsere Probleme lösen werden, bieten sie doch Anlass zur Hoffnung im Kampf gegen das Virus. In den letzten Wochen haben uns gute Nachrichten zu den in der Entwicklung befindlichen Impfstoffen erreicht. Gerade in Zeiten wie diesen führe ich mir die immense Fülle an wissenschaftlicher und technologischer Kompetenz und entsprechendem Fachwissen vor Augen, über die wir in den 53 Mitgliedstaaten der Europäischen Region verfügen. Dieses Versprechen wird sich jedoch niemals einlösen lassen, wenn wir nicht gewährleisten können, dass alle Länder Zugang zum Impfstoff-Markt haben, dass die Impfstoffe chancengerecht verteilt und wirkungsvoll eingesetzt werden und dass die Länder gegen Impfskepsis vorgehen.
Auch die jüngsten wissenschaftlichen Entwicklungen bei Schnelltests (Antigen-Tests) bieten wertvolle Optionen, um den Schwerpunkt des Kampfes gegen die Pandemie von Krankenhäusern auf Haushalte, Pflegeeinrichtungen und die Gesellschaft zu verschieben – die Menschen also in den Mittelpunkt zu rücken.
Drittens müssen wir mit Blick auf die Zukunft gewährleisten, dass unsere Kinder in einem sicheren Umfeld lernen und die Weihnachtszeit genießen können. In den Ländern gibt es eine Vielzahl von Praktiken zur Bekämpfung des Virus, ohne die Menschen zu beeinträchtigen. Viele Länder in der Region haben den Schulbetrieb für jüngere Kinder aufrechterhalten. Hierfür wurden etwa die Rahmenbedingungen angepasst, für eine ausreichende Belüftung der Klassenräume gesorgt, der Lehrbetrieb in kleineren Gruppen abgehalten und die räumliche Distanz zwischen Schülern und Lehrern vergrößert. Diese Schulen konnten an über 100 aufeinanderfolgenden Tagen offen gehalten werden.
Die WHO ist weiter entschlossen, die Länder der Europäischen Region dabei zu unterstützen, Grundschulen offen zu halten. Wo Schulen aufgrund einer intensiven Übertragung in der Bevölkerung geschlossen werden müssen, bitten wir darum, Kindern in schwierigen Lagen und Kindern mit Behinderungen im Hinblick auf entsprechende Unterstützung und Präsenzunterricht Vorrang zu geben.
Und insbesondere mit Blick auf die Kinder möchte ich mich auch kurz zu Weihnachten und der bevorstehenden Weihnachtszeit äußern. Weihnachten wird in diesem Jahr anders sein, doch das bedeutet nicht, dass es kein frohes Fest werden kann. Während des Ramadan fanden gemeindenahe Gruppen sichere Wege, um das Fasten zu brechen, etwa in virtueller Form oder durch die Lieferung von Essen nach Hause für Feierlichkeiten auf Distanz. Auch eine virtuelle Begehung von Diwali mit kostenlosen Online-Veranstaltungen, die von Kommunen in allen Teilen der Europäischen Region organisiert wurden, gewährleistete sichere Feierlichkeiten. Genießen Sie die Weihnachtszeit mit Ihren Liebsten. Wenn Sie ein Treffen mit Freunden in größerer Runde vermissen, verschieben Sie diese Art des Zusammenseins eher auf einen Zeitpunkt, wenn es wieder sicher ist, sich zu treffen. Feiern Sie mit ihnen im späteren Verlauf des Jahres 2021. Treffen Sie sich trotz der Kälte draußen mit Ihren Liebsten, wenn die lokalen Beschränkungen dies erlauben. Feiern Sie, aber feiern Sie auf sichere Weise.
Dies waren die drei Punkte, auf die ich heute eingehen wollte:
- Wenn wir alle unseren Beitrag leisten, lassen sich Lockdowns vermeiden.
- Technologien und Pharmazeutika bieten uns einen neuen Horizont.
- Wir müssen gewährleisten, dass unsere Kinder in einem sicheren Umfeld lernen und die Weihnachtszeit genießen können.
Liebe Freunde, letztendlich wirkt sich diese Zeit der Pandemie auf unser aller Leben aus, doch wir können nicht aufgeben, wenn wir so viel zu gewinnen haben. Ich möchte Sie eindringlich bitten, weiterhin an der Hoffnung festzuhalten und sich nach Kräften darum zu bemühen, Ihr persönliches Risiko und das Risiko der Menschen und Gemeinschaften um Sie herum zugunsten der Gesundheit und des Wohlbefindens aller Menschen zu mindern.
Vielen Dank.