Antibiotika haben mir das Leben gerettet
Interviews mit Anna und Iris Fairley
Anna Fairleys Erfahrungen mit Antibiotika
„Damals, im Mai 2009, stand ich kurz vor dem Abschluss meines Praktikums beim WHO-Regionalbüro für Europa in Kopenhagen. An einem ganz normalen Dienstagnachmittag fühlte ich mich plötzlich unwohl und ging nach Hause. Dort ging es mir bald viel schlechter, und ich wurde ins Krankenhaus nach Hvidovre in der Nähe von Kopenhagen gebracht – mit Verdacht auf Blinddarmentzündung. Ich wurde operiert, aber danach ging es mir nicht besser, sondern mein Zustand verschlimmerte sich sogar noch deutlich.“„Von dem Moment, in dem ich für die Operation betäubt wurde, kann ich mich an nichts mehr erinnern, aber ich erfuhr, dass man mich in ein künstliches Koma versetzt, in Quarantäne genommen und unter die ständige Beobachtung zweier Krankenschwestern gestellt hatte. Vermutet wurde eine Infektion mit einem antibiotikaresistenten Erreger. Ich lag sechs Tage lang im Koma, und nach drei Tagen ging man davon aus, dass ich mich nicht mehr erholen würde.“
„Ich hatte eine bakterielle Infektion mit Streptokokken der Gruppe A, die sich glücklicherweise als nicht resistent erwiesen, so dass sie auf zwei der mir verabreichten Antibiotika ansprachen. Meine Erholung verlief sehr schnell und dauerte nur wenige Wochen. Die Infektion hat bei mir keine bleibenden Schäden hinterlassen.“
Wie wertvoll Antibiotika sind
„Aufgrund dieser Erfahrung ist mir bewusst geworden, wie wertvoll Antibiotika sind. Denn obwohl ich in dem dänischen Krankenhaus die bestmögliche Versorgung erhielt, war es ein ungeheures Glück, dass ich mich wieder erholte. Ich halte es für sehr wichtig, Bakterien näher zu erforschen und die Allgemeinheit verstärkt dafür zu sensibilisieren, wie wichtig ein effektiver Umgang mit Antibiotika und ausreichende Hygienemaßnahmen sind. Ich habe dieses Thema sogar zum Gegenstand meiner Masters-Arbeit gemacht.“
„Letztendlich wissen wir doch so wenig; ich habe nicht einmal herausgefunden, wie es zu der Infektion kam.“
Anna Fairley
Anna Fairley aus Darmstadt schreibt derzeit an der Universität Maastricht ihre Masters-Arbeit zum Thema „The weapons of a microbial killer – correlation between Group A Streptococcus toxins and invasive disease outcome“.
Iris Fairley: Antibiotika sind für uns von unschätzbarem Wert. Sie haben meiner Tochter das Leben gerettet
„Als Anna an einer bakteriellen Blutvergiftung erkrankte, wurde ich sofort nach Kopenhagen gerufen. Ich war völlig schockiert. Anna war in äußerster Lebensgefahr, und ihr Zustand verschlimmerte sich von Minute zu Minute. Die ersten Stunden nach ihrer Versetzung in ein künstliches Koma kam ich mir wie in einem Albtraum vor. Ich hatte furchtbare Angst, sie könne sich mit einem resistenten Bakterienstamm infiziert haben. Denn mir war klar, dass das wohl ein Todesurteil für sie gewesen wäre.“
„Im Krankenhaus wurden sofort Tests auf Medikamentenresistenz durchgeführt, die ergaben, dass Anna mit Standard-Antibiotika behandelt werden konnte. Trotzdem dauerte es 48 Stunden, bis die Wirkung der Antibiotika einsetzte und sich Annas Zustand langsam besserte. Was für ein Glück, dass die Antibiotika ihr helfen konnten!“
Optimale Infektionsbekämpfung in Kopenhagen
„Ich muss wirklich gestehen, ich war beeindruckt von den ausgezeichneten Infektionsschutzmaßnahmen in dem Krankenhaus. Da Anna auf der Intensivstation behandelt wurde, war sie vom Beginn ihres Krankenhausaufenthalts an in Isolierung. Ich erfuhr, dass das Krankenhaus mit ausländischen Patienten generell so verfährt. Da die meisten Antibiotikaresistenzen in Dänemark weniger verbreitet sind als in anderen Ländern, sind die dänischen Krankenhäuser darauf bedacht, eine Ausbreitung resistenter Erreger zu verhindern. Ich stellte auch fest, dass die Desinfektion sehr gründlich und verantwortungsbewusst erfolgte. In jedem Raum standen antiseptische Mittel, und das Gesundheitspersonal desinfizierte jedes Mal beim Betreten oder Verlassen eines Raums sorgfältig.
Patienten sollten Antibiotika verantwortungsbewusst einnehmen und der ärztlichen Anweisung folgen
„Resistente Bakterien sind ungemein gefährlich. Sie sind schwierig zu behandeln und werden durch Mutation mit der Zeit noch resistenter. Bei meiner Arbeit als Arzthelferin habe ich manchmal mit Patienten zu tun, die leichtfertig mit Antibiotika umgehen. Viele brechen ihre Behandlung ab, da sie sich schon bald nach der ersten Einnahme besser fühlen. Das eigentliche Problem ist, dass die Medikamente die Bakterien in einer so kurzen Zeit gar nicht vollständig abtöten können. Wenn die Bakterien aber nicht vollständig eliminiert werden, können sie mutieren; dann wären sie in Zukunft gegen dasselbe Antibiotikum resistent. Es passiert sehr oft, dass dieselben Patienten schon nach kurzer Zeit wieder krank werden.“
„Ich habe den Eindruck, dass wir alle zu schnell Antibiotika nehmen, ohne dass vorher geklärt ist, dass die Erkrankung durch eine bakterielle Infektion verursacht wurde. Wir müssen die Menschen für einen verantwortungsbewussten Umgang mit Antibiotika sensibilisieren. Die Ärzte haben die Pflicht, ihre Patienten ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass eine Behandlung mit Antibiotika abgeschlossen werden muss. Der Patient muss das verstehen und dann entsprechend handeln. Vielleicht sollten Packungsbeilagen von Antibiotika klare Empfehlungen enthalten.“
Jeder kann zur Unterbindung der Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen beitragen
„In meinem privaten Umfeld, im Familien- und Freundeskreis, sorge ich dafür, dass jeder, dem Antibiotika verschrieben werden, die vorgesehene Therapie einhält. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die Antibiotikaresistenz sich über viele Jahre entwickelt hat. Jeder trägt zu ihrer weiteren Ausbreitung bei. Aber ebenso kann auch jeder dazu beitragen, die weitere Ausbreitung zu unterbinden.“
Iris Fairley
Iris Fairley ist Annas Mutter. Sie arbeitet als Arzthelferin in einer Praxis in Deutschland.