Wenn ihm das passieren kann, wie ist es dann mit uns?
Ein Interview mit Jehona Binishi
Jedes Jahr sterben in den Ländern der Europäischen Union nach Schätzungen ca. 25 000 Menschen an schweren Infektionen mit resistenten Bakterien, die meist in Krankenhäusern erworben wurden. Kein Gesundheitssystem ist vor einer solchen Bedrohung sicher. Dies ist nur ein Beispiel aus der Europäischen Region der WHO.
„Mein Vater, Prof. Riza Binishi, war ein großartiger Mann, ein sehr bekannter und hoch angesehener Chirurg. Er war ein Vorbild für viele Menschen – und der Grund, warum ich Ärztin wurde. Er wurde Dekan der medizinischen Fakultät an einer großen Universität in meinem Land und hat als Chefarzt und Chirurg Hunderte von Menschenleben gerettet. Er war immer am Arbeiten, vor allem nach dem Tod meiner Mutter.“
„Er war mehr als 20 Jahre lang Diabetiker, und im Ruhestand bekam er Probleme mit dem Kreislauf, so dass er sich schließlich im Krankenhaus eine Zehe amputieren lassen musste. Nach der Operation war sein Blutdruck so niedrig, dass er Probleme mit dem Herzen bekam und sich sein Allgemeinzustand verschlechterte. Nach vier oder fünf Tagen auf der Intensivstation verschlimmerte sich sein Zustand nochmals erheblich. Es gab keine richtige Diagnose, und er bat uns dringend, ihn nicht dort zu lassen. Er sagte, wir sollten ihn nach Hause bringen, da das Personal offenbar im Dunklen tappe.“
Eine Infektion mit antibiotikaresistenten Bakterien
„Wir beschlossen also, ihn nach Berlin zu bringen. Es war keine leichte Entscheidung, aber wir gingen das Risiko bewusst ein, auch wenn es uns ein Vermögen kostete. Mein Vater wurde in einem Privatflugzeug in eine renommierte Thoraxklinik gebracht. Er kam dort in sehr geschwächtem Zustand an. Die Ärzte stellten fest, dass er sich mit dem neuen antibiotikaresistenten Erreger NDM-1 (Neu-Delhi-Metallo-Beta-Laktamase-1) infiziert hatte. Der Erreger war überall: in den Lungen, in den Beinen, in der Harnröhre. Mein Vater hatte eine Blutvergiftung.“
„Sie nahmen ihn in Quarantäne, alles wurde desinfiziert, niemand durfte ohne Infektionsschutzmaßnahmen zu ihm; es war erschreckend, aber sie nahmen es offensichtlich äußerst ernst. Sie wollten eine Ausbreitung des Erregers auf jeden Fall verhindern. In meinem Land hätten sie uns als Angehörige hineingelassen.“
„Da seine koronaren Arterien zu 90% verstopft waren, wurden drei Bypass-Operationen durchgeführt. Daraufhin besserte sich sein Zustand. Doch nach zwei oder drei Tagen kam die Infektion mit voller Wucht zurück. Die Ärzte versuchten es mit den verschiedensten Antibiotika. Ich glaube, mein Vater bekam mit, was passierte; wir sprachen immer wieder mit ihm. Wir sagten ihm, dass er in Deutschland sei. Er hatte eine Träne in seinem rechten Auge; ich glaube, er wusste genau, wie es um ihn stand. Er kämpfte noch sechs Wochen gegen den Tod; er war ein ungeheuer starker Mann. Alle taten ihr Äußerstes, doch im Februar 2011 machte sein Körper einfach nicht mehr mit. Er wurde 73 Jahre alt.“
„Wir wissen nicht, wie es zu der Infektion kam, aber man erzählte uns von einem anderen Patienten auf der Intensivstation unseres nationalen Krankenhauses, und wir vermuten, dass der Erreger in den Schläuchen war, die in ihn eingeführt wurden. Mein Vater hat sein ganzes Berufsleben für die Gesundheit gekämpft, er war immer am Arbeiten.“
Auch Gesundheitspersonal gefährdet
„Die Arzneimittelresistenz gefährdet nicht nur Patienten. Auch meine Kollegen und ich wissen nur zu gut, dass jeder, der unter Bedingungen arbeiten muss wie wir, einem Risiko ausgesetzt ist. Die Zustände sind wirklich schlimm: Schlechtes Management und zu wenig Mittel.“
„Ohne eine wirksame Bekämpfung der Antibiotikaresistenz ist unsere gesamte Arbeit umsonst. In unserem Land sind Antibiotika überall rezeptfrei erhältlich. Ich weiß, mein Vater war schwer krank, aber wenn es uns nicht gelingt, die Zahl der Infektionen mit antibiotikaresistenten Bakterien zu senken, sieht die Zukunft düster aus. Für uns war es natürlich eine schlimme Zeit; dabei erwarte ich in diesem Monat mein erstes Kind. Mein Vater wird es nie sehen.“
„Es kann jedem passieren. Ich bin schon gefragt worden: Wenn ihm das passieren kann, wie ist es dann mit uns? Eine berechtigte Frage.“