Informationen für politische Entscheidungsträger

Weltgesundheitstag 2011


Faktenblatt, 7. April 2011

Politische Entscheidungsträger spielen bei der Bewältigung der Bedrohung der Bevölkerungsgesundheit durch Antibiotikaresistenz eine Schlüsselrolle. Antibiotika sind wichtige, lebensrettende Arzneimittel zur Behandlung bakterieller Infektionen, deren Wirksamkeit heute jedoch aufgrund der zunehmenden Resistenz von Bakterien gegen sie gefährdet ist. Diese Tatsache ist auf den Missbrauch, vor allem aber den übermäßigen Gebrauch von Antibiotika zurückzuführen. Der Gebrauch von Antibiotika sollte mit Umsicht erfolgen, also nur dann, wenn er unbedingt erforderlich und aus therapeutischen Gründen angezeigt ist.

In vielen Ländern der Europäischen Region können Antibiotika ohne Rezept erworben werden, und die pharmazeutische Industrie übt erheblichen Druck auf Ärzte und Apotheker aus, um ihre Produkte abzusetzen. Zur Bekämpfung der Antibiotikaresistenz sind ein breit angelegter sektorübergreifender Ansatz und ein starkes Engagement der Länder notwendig. Wenn jetzt nicht gehandelt wird, steuern wir auf eine Situation zu, in der schon einfache bakterielle Infektionen nicht mehr behandelt und minimal invasive diagnostische Routineeingriffe durch die Existenz resistenter Bakterien gefährdet werden. Wenn es nicht gelingt, die Entstehung und Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen einzudämmen, so sind möglicherweise die bahnbrechenden gesundheitlichen Verbesserungen der letzten 70 Jahre gefährdet.

Warum ist es so wichtig, jetzt zu handeln?

Antibiotikaresistenz führt zu zusätzlicher Morbidität und Mortalität. Die Lage ist akut. Jedes Jahr sterben in den Ländern der Europäischen Union sowie Norwegen und Island über 25 000 Menschen an verbreiteten Infektionen mit resistenten Bakterien. Mit dieser Zahl ist jedoch nur etwa die Hälfte der 53 Mitgliedstaaten der Europäischen Region der WHO erfasst. Aufgrund unterschiedlicher Diagnosekapazitäten sowie eines Mangels an Daten aus den Ländern ist die tatsächliche Zahl für die gesamte Region nicht bekannt. Resistente Bakterien sind ein ernstes Problem sowohl in Gesundheitseinrichtungen als auch in der Bevölkerung. Sie verursachen Infektionen wie Entzündungen der Harnwege, Lungenentzündungen und lebensmittelbedingte Erkrankungen. Überdies gehören von den 27 Ländern mit den weltweit höchsten Raten für multiresistente Tuberkulose (MDR-Tb) 15 zur Europäischen Region der WHO.

Antibiotikaresistenz erhöht die Kosten für die Gesundheitsversorgung. Längere Erkrankungen und komplexere Behandlungen erhöhen die Kosten für die Gesundheitsversorgung und damit die finanzielle Belastung für Familien und Gesellschaft. Die Gesamtkosten der Antibiotikaresistenz für die Gesellschaft werden allein für die EU-Länder auf 1,5 Mrd. € geschätzt.

Multiresistente Tuberkulose. Die Behandlung der MDR-Tb ist erheblich kostspieliger als bei Formen der Tuberkulose, die sich mit Medikamenten behandeln lassen. Aus vielen Ländern der Region werden Fälle von extensiv resistenter Tuberkulose (XDR-Tb) gemeldet, einer Form der MDR-Tb, die gegen die wichtigsten Zweitrangmedikamente resistent ist. MDR- und XDR-Tb sind das Ergebnis einer unzureichenden Behandlung der Tuberkulose, und eine vollständige Heilung ist hier weit schwieriger.

Die Antibiotikaresistenz breitet sich aus. Aufgrund der unsachgemäßen – und insbesondere der übermäßigen – Anwendung von Antibiotika unterliegen die Bakterienpopulationen einem „Selektionsdruck“, wobei die auf Antibiotika ansprechenden Bakterien durch resistente Bakterien ersetzt werden können. Resistente Bakterien oder Gene, die diese Informationen tragen, können sich leicht ausbreiten. Unzureichende Programme zur Infektionsbekämpfung in Gesundheitseinrichtungen tragen weiter zur Ausbreitung von Bakterien, einschließlich resistenter Bakterien und resistenter Formen der Tuberkulose, bei.

In manchen Ländern übersteigt die Verwendung von Antibiotika bei Tieren ihre Anwendung beim Menschen. Zwar ist in der Europäischen Union die Verwendung von Antibiotika zur Wachstumsförderung in der Viehzucht verboten, doch ist dies in vielen anderen Ländern der Region nicht der Fall. Die Verabreichung von Antibiotika an gesunde Tiere, vor allem in niedrigen Dosen, erhöht das Risiko einer Selektion resistenter Bakterien, die sich leicht entlang der Nahrungskette ausbreiten können. Mit integrierten Surveillance-Systemen sollte eine Entdeckung resistenter Bakterien ermöglicht werden, die auch für den Menschen von Bedeutung sind.

Durch Antibiotikaresistenz droht uns eine Rückkehr zu Verhältnissen, wie sie vor der Entdeckung der Antibiotika herrschten. Resistente Krankheitserreger entstehen und breiten sich rapide aus. Gegenwärtig sind nicht genügend neue Antibiotika in Entwicklung. Wenn keine wirksamen neuen Antibiotika gefunden werden und sich die Resistenzen weiter ausbreiten, droht der Gesellschaft eine Rückkehr zu Verhältnissen, wie sie vor der Entdeckung der Antibiotika herrschten. Ohne wirksame Antibiotika für Behandlung und Prävention wären die Erfolgsquoten für Behandlungen wie Organtransplantation, Chemotherapie bei Krebs oder größere Operationen (und natürlich andere, normalerweise leicht behandelbare bakterielle Infektionen) deutlich niedriger.

Handlungsoptionen

Die Komplexität des Problems und die Vielzahl der beteiligten Branchen machen eine starke Koordination auf nationaler Ebene, Surveillance-Systeme, nationale Leitlinien und branchenweite Aktionspläne erforderlich. Geeignete Praktiken werden bereits angewandt. So sind in vielen Ländern Antibiotika verschreibungspflichtig. In den meisten Ländern der Europäischen Region können Antibiotika nicht ohne Rezept erworben werden. Der Gebrauch von Antibiotika in der Viehzucht zur Wachstumsförderung bei gesunden Tieren ist in vielen Ländern der Region verboten.

Es gibt auch mehrere Beispiele für gelungene nationale Koordination. So beraten in einigen Ländern Nordeuropas nationale Koordinierungsausschüsse, etwa das schwedische Strategieprogramm zur Bekämpfung von Antibiotikaresistenz (STRAMA) oder die niederländische Arbeitsgruppe Antibiotikapolitik (SWAB), in Bezug auf alle Fragen, die die umsichtige Verwendung von Antibiotika und die Surveillance und Prävention von Antibiotikaresistenz betreffen. Sie erstellen Leitlinien zur Anwendung von Antibiotika, steuern Sensibilisierungskampagnen, beraten in Bezug auf Lehrpläne für die Gesundheitsberufe und sind an der Ausarbeitung nationaler Rechtsvorschriften beteiligt.

Strategischer Aktionsplan

Als Orientierungshilfe für nationale Politiker hat das WHO-Regionalbüro für Europa einen strategischen Sieben-Punkte-Aktionsplan ausgearbeitet, der auf der nächsten Tagung des WHO-Regionalkomitees für Europa im September 2011 in Aserbaidschan veröffentlicht wird.

I. Stärkung der sektorübergreifenden Koordination bei der Eindämmung der Antibiotikaresistenz auf nationaler Ebene

Die Rolle eines federführenden Ausschusses würde darin bestehen, die Risiken für die Bevölkerungsgesundheit und die Folgen der Antibiotikaresistenz zu überwachen, Lösungsansätze zu empfehlen und Rechtsvorschriften und Leitlinien in Bezug auf nationale Strategien zur Eindämmung der Antibiotikaresistenz auszuarbeiten. In diese nationalen Abstimmungsbemühungen und die Entwicklung der nationalen Aktionspläne sollten alle maßgeblichen Sektoren und Experten eingebunden werden.

II. Stärkung der Surveillance der Antibiotikaresistenz auf nationaler Ebene

Mit einem an internationalen Normen ausgerichteten System sollten einschlägige Daten zur Verbreitung und Ausbreitung von Resistenzen unter den wichtigsten Erregern gesammelt, analysiert und dokumentiert werden; dazu gehören auch Warnungen bei Entdeckung neuer Resistenzen. Mit neu geschaffenen regionalen Datenbanken sollten eine frühzeitige Entdeckung von Ausbreitung und Entwicklung sowie eine entsprechende Reaktion darauf gewährleistet werden.

III. Förderung nationaler Strategien für einen vernünftigen Umgang mit Antibiotika und
Stärkung einer nationalen Surveillance des Antibiotikaverbrauchs

Eine nationale staatliche Behörde oder Dienststelle sollte über diesen Bereich wachen, Systeme für die Überwachung des Arzneimittelverbrauchs einrichten, nationale Leitlinien für eine umsichtige Verwendung von Antibiotika erstellen und nationale Vorschriften für ihre Umsetzung ausarbeiten und entsprechende Schulungen anbieten.

IV. Stärkung der Infektionsbekämpfung und der Surveillance der Antibiotikaresistenz in Gesundheitseinrichtungen

Die Vorbeugung gegen Krankenhausinfektionen sollte durch eine energische Infektionsbekämpfung in Krankenhäusern vorangetrieben werden. Dabei sollte die Arbeit der Ausschüsse für Infektionsbekämpfung überprüft werden, um eine Steuerung des Antibiotikagebrauchs in Gesundheitseinrichtungen, die Analyse bestehender Resistenzen und die Förderung und Kontrolle eines vernünftigen Umgangs mit Antibiotika zu gewährleisten.

V. Prävention und Bekämpfung der Entstehung und Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen in der Nahrungskette

Bei der Regulierung und Kontrolle der Anwendung von Antibiotika in Viehzucht und Nahrungsmittelerzeugung sollten die für Lebensmittelsicherheit und Veterinärmedizin zuständigen nationalen Behörden eine zentrale Rolle spielen. Dabei muss die Verwendung von Antibiotika zur Wachstumsförderung bei gesunden Tieren ebenso geprüft werden wie zwischen den maßgeblichen Sektoren abgestimmte Surveillance-Systeme, insbesondere für lebensmittelbedingte Krankheiten.

VI. Förderung von Innovation und Forschung in Bezug auf neue Arzneimittel und Technologien

Bei der Erforschung neuer Antibiotika sowie eines sinnvolleren Einsatzes verfügbarer oder älterer Antibiotika und zugänglicher Technologien (insbesondere im Bereich der diagnostischen Sensitivität) müssen Regierungen und wissenschaftliche Netzwerke eine aktive Rolle spielen. Dabei sollten die „Push“-Anreize für die Grundlagenforschung und Entwicklung ebenso geprüft werden wie die „Pull“-Anreize zum Ausgleich der Risiken begrenzter und volatiler Märkte. Der regulatorische Prozess für neue Instrumente sollte schnell vor sich gehen, und es sollte nach Möglichkeit ein chancengleicher Zugang zu diesen gewährleistet sein.

VII. Verbesserung von Sensibilisierung, Patientensicherheit und Partnerschaft

Die komplexen Zusammenhänge zwischen Antibiotikaresistenz und Antibiotikagebrauch machen die Einbeziehung eines breiten Spektrums von Partnern und Bündnissen erforderlich. Nationale Sensibilisierungskampagnen sind für die Erhaltung eines hohen Maßes an Engagement unverzichtbar. Aktionsgruppen für Patientensicherheit können einen bedeutenden Beitrag zur Prävention von Infektionen und zu einem umsichtigen Umgang mit Antibiotika leisten.

Definitionen: Antibiotika und Antibiotikaresistenz

Antibiotika sind eine Untergruppe antimikrobieller Wirkstoffe, die ausschließlich gegen Bakterien wirken. Sie können entweder natürlich von Bakterien oder Schimmelpilzen gewonnen oder synthetisch hergestellt werden. Im wissenschaftlichen Sinne werden unter „Antibiotika“ nur natürlich gewonnene antimikrobielle Wirkstoffe verstanden, doch in diesem Text wird der Begriff als Bezeichnung für alle Arzneimittel oder Wirkstoffe gegen bakterielle Infektionen verwendet.

Die Entstehung von Antibiotikaresistenzen ist ein natürliches biologisches Phänomen, das beim Gebrauch von Antibiotika auftritt. Antibiotikaresistenzen entstehen aus der Fähigkeit von Bakterien heraus, einen Angriff von Antibiotika abzuwehren. Diese kann sich entweder durch Mutation oder durch den Erwerb von Resistenzgenen von anderen, bereits resistenten Bakterien herausbilden.

Die wichtigsten Antriebskräfte für die Entstehung solcher Resistenzen sind der Gebrauch von Antibiotika, insbesondere ihr übermäßiger Einsatz, aber auch ihr unsachgemäßer oder unzureichender Gebrauch, sowie die Übertragung und Ausbreitung von bereits resistenten Bakterienstämmen oder von Genen, die Träger von Resistenzinformationen sind.

Für weitere Auskünfte über Antibiotikaresistenz wenden Sie sich bitte an:

Dr. Bernardus Ganter
Leitender Berater, Antimikrobielle Resistenz,
Abteilung Übertragbare Krankheiten, Gesundheitssicherheit und Umwelt
WHO-Regionalbüro für Europa
Scherfigsvej 8
DK-2100 Kopenhagen Ø
Dänemark
Tel.: +45 39 17 14 23
E-Mail: bga@euro.who.int

Wenn Sie weitere Auskünfte oder ein Interview wünschen, wenden Sie sich bitte an:

Viv Taylor Gee
Regionalbeauftragter, Öffentlichkeitsarbeit
WHO-Regionalbüro für Europa
Scherfigsvej 8
DK-2100 Kopenhagen Ø
Dänemark
Tel.: + 45 39 17 12 31
E-Mail: vge@euro.who.int