Antibiotikaresistenz ist ein komplexes Thema – es gibt keine einfache Lösung

Ein Interview mit Peet Tüll

Herausforderungen bei der Bekämpfung der Antibiotikaresistenz

Peet Tüll „Die Länder der Europäischen Union sind sich der Problematik der Antibiotikaresistenz durchaus bewusst. Allerdings sind wir nicht sicher, wie aufgeklärt die Menschen außerhalb der EU sind.“

„Tatsache ist, dass es in jedem Land Experten gibt, die sich der Problematik bewusst sind, und dass es oftmals weniger an dem Wissen und der Evidenz fehlt, sondern vielmehr an Unterstützung von Kollegen und staatlichen Behörden.“

„Zu den größten Herausforderungen bei der Bekämpfung der Antibiotikaresistenz gehören meiner Meinung nach:

  • das Problem der Unterbindung des rezeptfreien Verkaufs von Antibiotika, insbesondere in den Nichtmitgliedstaaten der EU, und
  • die vollständige Durchsetzung der geltenden gesetzlichen Verbote für den Verkauf über den Ladentisch in den Mitgliedstaaten.“

„Außerdem gibt es zwei Hauptursachen für die Antibiotikaresistenz:

  • Den Umgang mit Antibiotika: Wie kann sichergestellt werden, dass Ärzte Antibiotika sachgemäß nur dann anwenden, wenn sie benötigt werden. Sowohl bei den Patienten als auch unter Ärzten herrschen falsche Vorstellungen darüber, wann Antibiotika verschrieben und angewendet werden sollten. In Studien aus Skandinavien wird von einer unsachgemäßen Verwendung von Antibiotika in Krankenhäusern in 30 bis 40 Prozent der Fälle berichtet, d. h. es wird in erheblichem Maße gegen die geltenden Leitlinien verstoßen. Etwa 90% aller Infektionen treten in Ambulanzen auf. Dort kommt es auch zu einem übermäßigen Einsatz von Antibiotika. Die Unterschiede zwischen den EU-Staaten in Bezug auf den Antibiotikaverbrauch betragen um bis zu dem Faktor drei, was offenbar nicht den Unterschieden hinsichtlich des Auftretens von Krankheiten entspricht.
  • Resistente Bakterien und Resistenzgene breiten sich aus, so dass die Aufrechterhaltung eines ausreichenden Infektionsschutzes sich schwierig gestaltet. Antibiotikaresistenz ist ein Thema, mit dem sich Gesundheitssysteme und Krankenhäuser befassen müssen, weil es in Gesundheitseinrichtungen so häufig zu Infektionen und zur Übertragung resistenter Stämme kommt.“

„Eine andere Herausforderung liegt in der Abstimmung mit anderen Politikbereichen, etwa Landwirtschaft, in Bezug auf deren Umgang mit Antibiotika. Das Verfüttern von Antibiotika an Tiere fördert deren Wachstum, ist aber zu diesem Zweck mittlerweile verboten, wobei die Einhaltung der Verbote schwer zu kontrollieren ist.“

„Es ist schwer, die Antibiotikaresistenz zu bekämpfen, wenn die Arzneimittel so wenige unmittelbare Nebenwirkungen haben.“

„Wegen der Komplexität der Problematik gibt es keine einfache Lösung. Denken Sie an die Rosen, die täglich in den Blumenläden verkauft werden. Sie sind meistens mit Antibiotika besprüht.“

Ein neuer gesundheitspolitischer Problemfall

„Das Thema Antibiotikaresistenz wird seit ca. 1994 auf höherer politischer Ebene diskutiert. In Schweden wurden verschiedene Fachgremien geschaffen, darunter STRAMA, ein Netzwerk nationaler und lokaler Koordinationsgruppen zur Bekämpfung der Antibiotikaresistenz. Im Jahr 2000 wurde eine nationale Strategie für Schweden ausgearbeitet und vorgestellt. Auf der Ebene der EU fand die erste Tagung zum Thema Antibiotikaresistenz 1999 in Kopenhagen statt. Kurz darauf, im Jahr 2001, folgte die WHO mit einer globalen Strategie. Das Ergebnis war eine Reihe weitreichender Empfehlungen, die heute noch Gültigkeit haben.“

„Diese Dokumente und Empfehlungen dienen den Ländern als Bezugsquelle im Hinblick auf die Ausarbeitung eigener nationaler Leitlinien von der landesweiten Ebene bis in die Krankenhäuser. Nach der ersten Tagung auf EU-Ebene wurden im Namen des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses Vorschläge an die EU-Kommission unterbreitet, und 2002 vereinbarten und unterzeichneten die Gesundheitsminister auf einer Tagung die Empfehlung des Rates zur umsichtigen Verwendung antimikrobieller Mittel in der Humanmedizin (2002/77/EC).“

Peet Tüll

Peet Tüll hat sich als Facharzt auf Infektionskrankheiten spezialisiert, war viele Jahre lang Leiter der Abteilung Infektionskrankheiten am Krankenhaus von Visby (Schweden) und wurde später Leiter der Abteilung für Prävention und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten bei der nationalen Behörde für Gesundheit und Soziales. Peet Tüll hat auch für die WHO gearbeitet und war am Aufbau des Europäischen Zentrums für die Kontrolle und die Prävention von Krankheiten beteiligt. Heute berät er Länder in Bezug auf ihre Strategien zur Bekämpfung der Antibiotikaresistenz.