Aufbau eines nationalen Surveillance-Systems für Antibiotikaresistenz
Ein Interview mit Nilay Çöplü
Umgang mit Antibiotika in der Türkei
In der Türkei ist der Verkauf von Antibiotika verschreibungspflichtig, doch sind diese in der Praxis leicht in Apotheken zu bekommen, so dass ein Missbrauch durchaus möglich ist. Antibiotika sind außerdem für viele Bereiche der Landwirtschaft und für die Fischzucht rezeptfrei erhältlich und werden zusammen mit Vitaminen in großem Umfang als Wachstumsförderer eingesetzt.
Die Prävalenz von im Krankenhaus erworbenen Infektionen mit methicillin-resistenten Staphylococcus-aureus-Bakterien liegt in türkischen Krankenhäusern bei 40%.
Ein Surveillance-System für antimikrobielle Resistenzen in der Türkei
„In meiner täglichen Arbeit in der Gesundheitsbehörde forsche ich im Bereich der Antibiotikaresistenz und der impfpräventablen Krankheiten und führe Schulungen durch. 2008 wurde ich zur Ansprechperson der Türkei zum Thema Antibiotikaresistenz für das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten ernannt und leitete Sensibilisierungskampagnen für den Europäischen Antibiotikatag, der jährlich am 18. November begangen wird.“
„In jüngster Zeit war ich maßgeblich am Aufbau des nationalen Surveillance-Systems für antimikrobielle Resistenzen beteiligt. Dessen wichtigste Ziele bestehen darin, die aktuelle Lage hinsichtlich der antimikrobiellen Resistenz in der Türkei zu bewerten und anhand der besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse Empfehlungen zu Konzepten für den Umgang mit Antibiotika abzugeben und die langfristige Effektivität solcher Konzepte zu messen.“
„Dieser Prozess begann 2009 mit der ersten Tagung des wissenschaftlichen Beirats, in dem Professoren und hochrangige Wissenschaftler aus 19 Universitäten und Ausbildungskrankenhäusern vertreten waren. Wir haben seitdem weitere drei Tagungen gehalten und Standardverfahren für die Bestimmung und Untersuchung von Bakterien einschließlich Qualitätskontrolle entwickelt.“
„Wir haben einen Fragebogen an insgesamt 354 Labore im ganzen Land verschickt und daraufhin 79 Labore aus zwölf Regionen für das Surveillance-Netzwerk ausgewählt. Das bedeutet, dass mindestens sechs Labore in jeder Region (zwei Universitätslabore, zwei Ausbildungseinrichtungen und zwei staatliche Krankenhäuser) Daten zu acht Typen von Bakterien einreichen werden.“
Die ersten Daten sind im April fällig
„Diese Labore werden ihre Daten über WHONET vorlegen, ein Software-System, das von John Stelling vom WHO-Kooperationszentrum für die Überwachung antimikrobieller Resistenzen in Boston entwickelt wurde. WHONET wird von mehr als 1000 Laboren in 80 Ländern genutzt und ist in 17 Sprachen erhältlich.“
„Eine zusätzliche Aufgabe des Beirats besteht darin, Qualitätskontrollen durchzuführen und die Arbeit der 79 ausgewählten Labore zu überprüfen.“
„Wir erwarten die ersten Daten aus dem Netzwerk im April 2011, und die Ergebnisse werden die Kartierung von antimikrobiellen Resistenzen in der Türkei einen großen Schritt weiter bringen.“
Was sich verändern muss
„Sensibilisierungskampagnen wie der Europäische Antibiotikatag und der diesjährige Weltgesundheitstag sind anschauliche Beispiele dafür, wie die Thematik des Umgangs mit Antibiotika an die Beschäftigten in der primären Gesundheitsversorgung wie auch an die Allgemeinheit herangetragen werden kann. Aber ich würde mir eine inhaltliche Ausweitung solcher Initiativen sowie eine Ausdehnung auf alle Länder wünschen.“
„Die geltenden Rechtsvorschriften sollten durchgehend den Erwerb von Antibiotika ohne Rezept verbieten. Ebenso wichtig ist die Thematisierung des Einsatzes von Antibiotika in der Landwirtschaft. Diese Themen müssen angepackt werden, in der Türkei und anderswo.“
Nilay Çöplü
Nilay Çöplü ist Außerordentliche Professorin in der Abteilung für die Erforschung übertragbarer Krankheiten beim nationalen Hygieneinstitut Refik Saydam in Ankara. Vor ihrem Dienstantritt 1989 arbeitete Nilay Çöplü vier Jahre lang als Allgemeinärztin, bevor sie sich auf Mikrobiologie spezialisierte.